Projektbeschreibung

Das am Arye Maimon-Institut der Universität Trier angesiedelte und von 2006 bis 2019 von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz geförderte Forschungsvorhaben unter der Leitung von Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Alfred Haverkamp (2006–2021) und Prof. Dr. Lukas Clemens (seit 2013) dient der materialbasierten Grundlagenforschung. Ziel des Projekts ist es, möglichst sämtliche historisch relevanten Schriftquellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich (1273–1520) systematisch zu erfassen und je nach Editionslage als Regest oder Volltext auf einer eigens eingerichteten Projektwebsite (www.medieval-ashkenaz.org) online im Open Access zur Verfügung zu stellen. Die Datensätze erschließen, präsentieren und kommentieren nicht nur lateinische und volkssprachliche, sondern auch hebräische Schriftzeugnisse aus dem weiten Untersuchungsraum, der elf moderne Staaten umfasst oder tangiert.

Der Untersuchungsraum und seine Einteilung

Das Untersuchungsgebiet orientiert sich im Wesentlichen an dem historisch und kulturell vielgestaltigen Geltungsbereich des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter. Unter den aktuellen europäischen Nationalstaaten werden darin außer der Bundesrepublik Deutschland (mit Ausnahme der zum mittelalterlichen Bistum Schleswig gehörigen Gebiete) auch folgende benachbarte oder nahe gelegene Staaten ganz oder teilweise einbezogen: Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Italien, Österreich, Slowenien, Tschechien und Polen.

Aufgrund der Stabilität kirchlicher Verwaltungsorganisationen markieren im Wesentlichen nicht die sich häufig ändernden weltlichen Herrschaftsbereiche, sondern Diözesangrenzen den Untersuchungsraum des Projekts nach außen, aber auch die Abgrenzungen verschiedener räumlicher Arbeitsbereiche innerhalb des Vorhabens. Das Projekt umfasst die sieben mittelalterlichen Kirchenprovinzen Köln, Mainz, Trier, Salzburg, Hamburg-Bremen, Magdeburg und Prag sowie die drei exemten Bistümer Bamberg, Kammin und Meißen (seit 1399 exemt). Hinzu kommen noch die Bistümer Basel und Lausanne der Kirchenprovinz Besançon sowie die Bistümer Lebus (seit 1424 zur Kirchenprovinz Magdeburg gehörig) und Breslau der Kirchenprovinz Gnesen. Letzteres war im Mittelalter explizit nicht Bestandteil des römisch-deutschen Reiches, bildete aber nach seinem sukzessiven Übergang an Böhmen im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts einen Landesteil der böhmischen Krone. Dagegen wird das erst im 18. Jahrhundert dem Reichsgebiet eingegliederte Deutschordensland nicht berücksichtigt. Außen vor bleiben auch die zum Reichsgebiet zählenden Gebiete des Patriarchats Aquileja.

Innerhalb des Vorhabens sind die einzelnen Arbeitsbereiche vorwiegend räumlich gegliedert. Daneben gibt es einige wenige quellenspezifisch orientierte Teilcorpora. Diese wurden aufgrund ihrer Bedeutung oder wegen der Quantität an Daten zu einem bestimmten Quellenkonglomerat aus den räumlich orientierten Teilcorpora ausgegliedert, so beispielsweise das Kölner Judenschreinsbuch, das Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs, die Rothenburger Stadt- und Landgerichtsbücher oder jüdische Siegel. Die räumliche Ordnung orientiert sich, wie oben erwähnt, fast ausschließlich an Bistumsgrenzen dahingehend, dass ein Teilcorpus entweder ein einzelnes Bistum (bspw. Konstanz, Worms) oder mehrere Diözesen umfasst (bspw. „Norddeutsche Bistümer“: Osnabrück, Bremen-Hamburg, Lübeck, Ratzeburg, Schwerin, Verden und Hildesheim).

Ausnahmen davon bilden Teilcorpora, deren Bearbeitung schon weit fortgeschritten war, ehe die konzeptionelle Orientierung an den Bistumsgrenzen endgültig fixiert wurde. Zu nennen ist hier vor allem die Markgrafschaft Brandenburg. Deren räumliche Bestimmung nimmt im Wesentlichen auf den weltlichen Herrschaftsbereich der Markgrafen Bezug. Darauf mussten entsprechend die Zuschnitte aller angrenzenden Teilcorpora Rücksicht nehmen. Dies führte auch dazu, dass vom Bearbeitungsraum „Erzbistum Mainz“ der östlich von Leine und Werra gelegene Abschnitt dem Teilcorpus „Thüringen/Sachsen“ zur Bearbeitung zugeschlagen wurde. Im Süden wurde der im Wesentlichen südlich des Bodensees gelegene Teil des Bistums Konstanz ausgegliedert. Dieser wird gemeinsam mit den übrigen zur heutigen Schweiz zählenden Teilen des Untersuchungsraums bearbeitet. Im Westen gehört das östlich des Rheins gelegene Gebiet des Erzbistums Köln zum Teilcorpus „Westfalen“, dasjenige westlich des Rheins zum Teilcorpus „Niederrhein/Niederlande“. Die Stadt Köln bildet ein eigenes Teilcorpus. Diesem sind auch sämtliche Belege zu erzstiftisch-kölnischen Juden zugeordnet, die sich nicht eindeutig Orten in Westfalen oder am Niederrhein zuweisen lassen. Neben Köln bilden aufgrund der Materialfülle auch die Städte Nürnberg, Rothenburg o. d. T. und Frankfurt a. M. (mit der Wetterau) eigene Teilcorpora.

Unabhängig von der Bearbeitung in Form von Teilcorpora lassen sich alle Datensätze über dieselben Suchanfragen ermitteln.

Untersuchungszeiträume

Das Projekt schließt zeitlich an das veraltete, aber als Materialsammlung immer noch unverzichtbare Werk von Julius Aronius (Regesten zur Geschichte der Juden im fränkischen und deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, Berlin 1887–1902) an. Den Abschluss bildet die Vertreibung der Juden aus Rothenburg des Jahres 1520 im Nachgang der einen tiefen Einschnitt im Leben der deutschen Juden bildenden Ausweisung der Juden aus Regensburg im Jahre 1519. Mit Letzterer enden auch das Standardwerk „Germania Judaica 3“ und das von Alfred Haverkamp herausgegebene dreibändige Kartenwerk zur „Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen“.

Zeitlich ist das Projekt in vier Arbeitsphasen aufgegliedert (1273–1347, 1348–1390, 1391–1437 und 1438–1520). Das Ende des Jahres 1347 bietet sich als ein Einschnitt an sowohl wegen des Todes Kaiser Ludwigs des Bayern und des dadurch begünstigten Herrschaftswechsels zu Karl IV. als auch wegen der Tatsache, dass die Pestpogrome im folgenden Jahr einsetzten. Viele Dokumente aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stehen in einem engen Zusammenhang mit diesen flächendeckenden Verfolgungen. Als weitere zeitliche Einschnitte für die nachfolgenden Arbeitsphasen dienen die Jahre 1390 (Einsetzen der lokalen und regionalen Vertreibungen in Mitteleuropa und zweite Judenschuldentilgung König Wenzels) und 1438 (Beginn der Regierung König Albrechts II. aus dem Hause der Habsburger).

Aufnahme der Daten in die Projektdatenbank

Die Abfassung der Regesten und Editionen erfolgt nach projektspezifischen Richtlinien, die in Anlehnung an die großen Editionsprojekte „MGH“ und „Regesta Imperii“ entwickelt wurden. Seit Spätherbst 2006 werden die Daten in einer auf die Bedürfnisse des Projekts angepassten virtuellen Forschungsumgebung erfasst. Das System FuD („Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem“) wurde an der Universität Trier vom „Service Center eSciences“ zusammen mit dem „Forschungszentrum Europa“ (FZE) und dem „Kompetenzzentrum – Trier Center for Digital Humanities“ (TCDH) entwickelt. Die Präsentation der Daten wurde von 2011 bis 2024 durch die „Digitale Akademie“ bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz gewährleistet; seit dem Relaunch vom 10. Dezember 2024 obliegt diese Aufgabe dem TCDH.

In die Datenbank eingeben werden zeitlich und räumlich fixierbare Schriftzeugnisse mit historisch unmittelbar verwertbaren Informationen. Die Bearbeitung der Quellen erfolgt jeweils nach Autopsie des Originals bzw. der relevanten Abschrift(en). Sofern bereits zuverlässige Editionen vorliegen, werden Regesten angefertigt. Bislang nicht oder fehlerhaft edierte, aber auch sehr entlegen publizierte Schriftquellen werden im Volltext auf Grundlage der handschriftlichen Überlieferung veröffentlicht, annotiert und kommentiert. Beide Vorgehensweisen betreffen sowohl lateinische und volkssprachliche als auch hebräische Quellen. Hebräischen Volltexten werden Übersetzungen beigefügt, um sie Forschung und Lehre zugänglich zu machen. Nicht in Gänze wiedergegeben werden – auch wenn bislang nicht ediert – Quellen, von denen sich nur eine oder wenige Passage(n) auf Juden beziehen (beispielsweise Stadtrechte mit nur einem oder wenigen Juden betreffenden Paragraphen oder topographische Angaben). In diesen Fällen werden innerhalb des Regests nur die relevanten Textstellen ediert. Dies gilt auch für formelhafte Quellenbelege (beispielsweise die sog. „Schadenklauseln“).

In der Regel wird jeder Quellenbeleg in einem separaten Datensatz erfasst. Ausnahmen davon bilden vor allem serielle Quellen, bei denen mehrere Einträge desselben Tages oder – falls nicht mit Tagesdatum versehen – eines weiteren Zeitraums zusammengefasst werden, um den inhaltlichen Kontext zu wahren. Ebenso werden auch Grabsteine jeweils eines Friedhofs, die lediglich aufgrund äußerer Merkmale auf ein halbes oder ein Jahrhundert datiert werden können, in einem Datensatz vereint.

Ein wesentliches Charakteristikum des Projekts ist die möglichst umfassende Einbeziehung von seriellen Quellen, die in der bisherigen Forschung zumeist nicht beachtet wurden. Dabei handelt es sich wiederum um einen vielfältigen Quellentypus, zu dem insbesondere Rechnungs , Bürger , Acht- und Gerichtsbücher gehören. Aus den einschlägigen Belegen serieller Quellen ergeben sich zahlreiche neue Einblicke in das jüdische Alltagsleben und in die Rahmenbedingungen jüdischer Existenz innerhalb der christlichen Umwelt. Sie bieten daher wesentliche Ergänzungen zu den stärker auf Normen ausgerichteten oder von subjektiven Einstellungen bestimmten Quellengattungen. Innovativ ist auch der Umstand, dass hebräische Rückvermerke auf lateinischen und volkssprachlichen Urkunden hier erstmals systematisch berücksichtigt werden. Häufig liefern diese zusätzliche, nicht im Urkundentext enthaltene zeitgenössische Informationen. Darüber hinaus lassen sie Rückschlüsse auf Aufbewahrungsort und -art zu und ermöglichen dadurch zuweilen auch die Rekonstruktion jüdischer Familien- oder Gemeindearchive.

Das Spektrum der nichtjüdischen Überlieferung innerhalb des Vorhabens wird komplettiert durch die Berücksichtigung von historisch verwertbaren Zeugnissen zur Geschichte der Juden in weiteren Literaturgattungen. Dazu gehören Gedichte, Romane oder Epen, die je nach Länge und Bedeutung in Auszügen oder Zusammenfassungen präsentiert werden. Da theologische und kanonistische ebenso wie halachische Kompendien nur in seltenen Fällen regional und zeitlich zugeordnet werden können, erhalten diese in der Regel keine eigenen Einträge, doch werden sie in den Kommentaren herangezogen.

Die beigefügten Kommentare bieten ergänzende Informationen zu Besonderheiten der jeweiligen Quelle und ihrer Überlieferung sowie gegebenenfalls Querverweise auf thematisch zugehörige Datensätze.