Quellen zur Geschichte der Juden im Erzbistum Mainz (1348-1390)

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Ebm. Mainz 2, Nr. 175

1375 Dezember 2

Grabstein des zu Mainz bestatteten Juden Meir, Sohn Isaaks:

ציון הלז לראש הנעים
הח'ר' מאיר בן הר' יצחק
מן נה שנפטר בליל
שבת ח' טבת שנת ק'ל[']ו'
לאלף הששי ונקבר
ביום א' תהא נשמתו
צרורה בצרור החיים
אמן א' א' סלה

Dieses Steinmal [ist] zu Häupten des angenehmen (1),
des gelehrten Herrn Meir, Sohn des Rabbiners Isaak
aus/von Nordhausen (2), der verstarb in der Nacht
des Sabbats; am 8. (3) Tevet, im Jahre 136 (4),
im sechsten Jahrtausend, aber wurde er begraben,
am Sonntag. Es sei seine Seele
eingebunden in das Bündel des Lebens.
Amen. Amen. Amen. Sela.

(1) Avneri (Medieval Jewish Epitaphs from Magenza, Nr. 79, S. 156) edierte (הנעי(ם. Auf zwei Fotografien der 1950er Jahre ist zu erkennen, dass der (bei Aufsicht) rechte Teil des finalen Mems [ם] in die Schreibfläche und der Rest dieses Buchstabens wohl in die Innenseite des Rahmens graviert wurde. Salfeld (Mainzer jüdische Grabsteine, Nr. 10, S. 65) übertrug "Dieses Denkmal ist aufgerichtet […]" und ließ "des angenehmen" (הנעים) weg. Rapp, Chronik (1977), Nr. 141, S. 58, nahm dagegen das erwähnte Epitheton auf.

(2) Avneri (Medieval Jewish Epitaphs from Magenza, Nr. 79, S. 156) edierte מגנב und fügte dieser Lesung in runden Klammern ein Fragezeichen hinzu, offensichtlich, weil er die Buchstabenfolge nicht deuten konnte. Levi (Verzeichnis der alten jüdischen Grabsteine, Nr. 157) regestierte "von Nordh.", fügte diesem Bestimmungsversuch jedoch ebenfalls ein Fragezeichen in runden Klammern hinzu, wobei nicht ersichtlich ist, ob sich der in dem Zeichen manifestierte Zweifel auf die Lesung als solche oder die Auflösung der Abkürzung "Nordh." bezieht. Rapp, Chronik (1977), Nr. 141, S. 58, führte "von Nordhausen" an, eine Übertragung, die schon Salfeld (Mainzer jüdische Grabsteine, Nr. 10, S. 65) gewählt hatte. In Listen der "Verfolgungen zur Zeit des schwarzen Todes, 1348 und 1349" wurde Nordhausen mit den Schreibungen נורטהוזן (zweimal), נורטהויזן (zweimal) und  נורטהוייזן angeführt (vgl. Martyrologium Nürnberger Memorbuch, S. 69f., 78, 83, 248, 255 f., 267, 284). Unter paläografischen Gesichtspunkten kann man bei Konsultation der beiden vorhandenen Fotografien zu der von Avneri edierten Lesung מגנב bemerken: Das initiale Mem [מ] ist unstrittig. Der zweite Buchstabe ist nicht ein Gimel [ג], sondern ein unten nach (bei Aufsicht) rechts ausgerichtetes finales Nun [ן], was schon an der Länge dieses Zeichen und seiner Ausdehnung bis unter die mittlere Schreibebene zu erkennen ist; es handelt sich mithin um die unverbundene, nicht assimilierte Präposition מן "aus/von". Das nächste "Wort" beginnt mit dem unstrittigen Nun [נ]. Darauf folgt jedoch nicht ein Bet (ב), sondern ein He (ה]) bei dem auch der (bei Aufsicht) linke Abstrich auf den Fotografien zu erkennen ist, während sich der untere Querstrich des vermeintlichen Bet (ב) als schräg nach (bei Aufsicht) links unten verlaufende Steinbeschädigung erweist. Bei Berücksichtigung des Umfelds kann man die Buchstabengruppe נה ("NH") offensichtlich als "akronymische" Abkürzung ansprechen, und zwar von  נ[ורט]ה[ו(יי)זן] ("N[ord]H[ausen]"). Der von Schütz, Mainz (1995), S. 824, Anm. 432, geäußerte Vorbehalt mit Verweis auf Avneri ist damit, was "Nordhausen" anbetrifft, hinfällig. Bei dem Verstorbenen handelte es sich um den am 30. Juni 1365 als Bürger zu Mainz aufgenommenen Rabbi Jakob von Nordhausen (MZ02, Nr. 100); vgl. dazu auch Yuval, R. Jakob Katz (1995).

(3) Dem 8. Tevet (5)136 entspricht der 2. Dezember 1375, ein Sonntag. Paläographisch ist der auch von Avneri (Medieval Jewish Epitaphs from Magenza, Nr. 79, S. 156) edierte Zahlbuchstabe 'ח (Chet, "8.") des jüdischen Monatstages bei Konsultation der Fotografien eindeutig zu identifizieren. Rapp, Chronik (1977), Nr. 141, S. 58, gab als Datierung "1375 Donnerstag 29. November = Sabbathnacht 5. Tevet 136" an, meinte also 'ה (He, "5.") als den in Frage stehenden Zahlbuchstaben gelesen zu haben, was auf  die Ähnlichkeit der Buchstaben ח (Chet) und ה (He) zurückzuführen sein mag. Die bei seinen Angaben ins Auge fallende Unstimmigkeit der Wochentage ("Donnerstag [christlich] = Sabbatnacht [jüdisch]") kommentierte Rapp nicht, wohl weil er den von ihm hergestellten irrigen Bezug nicht erkannte: Auch der von ihm angesetzte "5. Tevet 136" fiel nämlich auf einen Donnerstag ('יום ה, "Tag 5"), so dass der in der Grabinschrift genannte Todeszeitpunkt שבת בליל ("in der Nacht des Sabbats") nicht mit dem genannten Datum zusammenfällt. Vielmehr handelt es sich bei dem schon von Avneri zutreffend identifizierten 8. Tevet (5)136 um den Begräbnistag, der in der Grabinschrift dem Kalendersystem entsprechend als 'יום א ("Tag 1" = Sonntag) charakterisiert wird - ein Begräbnis am Sabbat war nach jüdischer Tradition nicht üblich.

(4) Avneri (Medieval Jewish Epitaphs from Magenza, Nr. 79, S. 156) edierte 'ק'ל'ו. Bei der Konsultation der beiden Fotografien konnten zwar Spuren des Zahlbuchstabens 'ל (Lamed, "30"), nicht jedoch der zugehörige Markierungspunkt verifiziert werden. Der Zahlbuchstabe 'ו (Waw, "6") wurde in die Vorderseite des Rahmens graviert. Er wurde offensichtlich schon von Levi gelesen, denn dieser registrierte (Verzeichnis der alten jüdischen Grabsteine, Nr. 157) "1376", wobei er (ohne Monats- und Tagesangaben) das jüdische Jahr (5)136 mit dem größeren Teil des entsprechenden christlichen Jahres 1375/76 zum Ausdruck brachte. Salfeld (Mainzer jüdische Grabsteine, Nr. 10, S. 65) jedoch hatte als Datierung "gestorben in der Nacht des Sabbat, 14. Tebet des Jahres 130 des 6. Tausend und begraben am Sonntag" sowie als christliches Jahr "1370" angegeben. Er betrachtete mithin den in Frage stehenden Zahlbuchstaben ו' (Waw, "6") nicht als solchen, sondern hielt die von späteren Forschern als Zahlgravur identifizierte Stelle für eine belanglose Spur. Außerdem gab er, wie erwähnt, als Zahl des Monatstages "14" an, wobei er - dem zutreffenden 'ח (Chet, "8") in der Form ähnlich - in ungebräuchlicher Reihenfolge די (Dalet+Jod, "4+10") statt יד (Jod+Dalet, "10+4") konjiziert haben wird. Bemerkenswerterweise setzte Salfeld in seiner "Übersetzung" bei den Zeitangaben nur nach "Nacht des Sabbat" ein Komma und dann nicht mehr, bezog sein Monatsdatum also vielleicht auf den Begräbnistag. Allerdings fiel dieses (entsprechend 1369 Dezember 13) nicht auf einen "Sonntag", sondern auf einen Donnerstag.

Überlieferung:

Mainz, Judenfriedhof Denkmalsanlage, Nr. 141, hebr.

  • Medieval Jewish Epitaphs from Magenza, Nr. 79, S. 156.
  • Rapp, Chronik (1977), Nr. 141, S. 58;
  • Mainzer hebräische Epitaphien, Nr. M 134, S. 87;
  • Verzeichnis der alten jüdischen Grabsteine, Nr. 157;
  • Mainzer jüdische Grabsteine, Nr. 10, S. 65.

(kcu.) / Letzte Bearbeitung: 01.02.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2016, MZ02, Nr. 175, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/MZ02/MZ-c1-00ch.html (Datum des Zugriffs)

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