Quellen zur Geschichte der Juden in Frankfurt und der Wetterau (1348-1390)

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Reichsstadt Frankfurt und Wetterau 2, Nr. 128

1349 Juli 24

Der wohl ursprünglich aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Bericht (1) über die Judenverfolgungen im sogenannten Chronicon I weist die Schuld am Pogrom von 1349 weitgehend den Geißlern zu: Zu der Zeit als die Sekte der Flagellanten (flagellancium secta) in Scharen in Städte und Orte Deutschlands gelangte, kam auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von ihnen nach Frankfurt (Francfordia), wo diese bemerkten, dass die Juden in Frankfurt an den besten Plätzen der Stadt wohnten (qui intelligentes iudaeos in optimo loci situ habitare). Aus Empörung darüber und um die Schmähung Gottes zu bestrafen, metzelten sie die Juden nieder und drangen in deren Häuser ein. Selbst die Bürger, die sich für den Frieden und das Heil der Juden einsetzten (civibus pro pace et iudeorum laborantibus salute), konnten nichts ausrichten. Die den Angreifern begegnenden Juden, die zu den Waffen liefen, wurden enthauptet. Auf das Läuten der Glocke hin eilten bewaffnete Bürger den Juden zu Hilfe und siegten schließlich in einem erbitterten Kampf, in dem die meisten Juden durch das Schwert fielen. Die verbliebenen Juden verdächtigten die Bürger der Konspiration mit den Geißlern, sodass einer der angesehensten unter ihnen, genannt zum Storch, der in dem zur Zeit der Abfassung des Berichts 'Zum Storch' gennnten Haus bei der Pfarrkirche wohnte, einen brennenden Pfeil auf einen Fensterladen des Rathauses (domus consilii) schoss, woraufhin das gesamte Rathaus (praetorium) und der hintere Teil der Bartholomäuskirche abbrannten. Als die Bürger registrierten, dass das Feuer auf einen Anschlag der Juden zurückging, liefen sie zu den Waffen und töteten die Juden. Die wenigen, die ein Versteck fanden, flohen zu den Böhmen (ad Bohemos).

(1) Froning geht in der Einleitung zur Edition (S. XIII) davon aus, dass die aus politschen Erwägungen erfolgte falsche Darstellung der Ereignisse in Zusammenhang mit den Bemühungen der Stadt um die Zwangsumsiedlung der Juden in die Vorstadt um 1460 herum erfolgt sei.

Überlieferung:

Frankfurt, ISG, lat.

  • Dombrand und Judenschlacht, S. 7 f.
  • Schnur, Juden in Frankfurt (2017), S. 488;
  • Heil, Vorgeschichte (1991), S. 120;
  • Andernacht, Verpfändung (1973), S. 12;
  • GJ 2, 1, S. 245;
  • Kracauer, Geschichte der Juden (1925), S. 38 f.;
  • Kracauer, Aus der inneren Geschichte (1914), S. 14;
  • Kracauer, Politische Geschichte (1911), S. 40-42;
  • Kriegk, Bürgerzwiste (1862), S. 423 f.

Kommentar:

Der wahrscheinlich um 1460 verfasste Bericht über die Beteiligung der Geißler an der Ermordung der Frankfurter Juden, der in der von dem Frankfurter Stadtbibliothekar und Stadtarchivleiter Johann Martin Waldschmidt um 1700 verfassten Chronicon der weltberümten Freyen Reichs-, Wahl- und Handel-Statt Franckfurt am Mayn unkritisch rezipiert wurde, stellt zweifellos eine Geschichtsklitterung dar, um die Schuld an dem Pogrom auf die Geißler und die Juden selbst abzuwälzen; vgl. Kracauer, Geschichte der Juden (1925), S. 38f.; Graus, Pest (1987), S. 195f. Dass es sich bei dem angeblichen Schuss eines brennenden Pfeils vom Haus 'Zum Storch' auf das Rathaus um eine Legende handelt, hat bereits Johannes Latomus, Kanoniker des Bartholmäusstifts, in seiner um 1562 fertiggestellten Chronik dargelegt (FW02, Nr. 130); zu Waldschmidts Chronik vgl. Dzeja, Geschichte (2003), S. 74-77 und 255 f. Die möglicherweise von einer 1508 bezeugten Katharina Scheffer angefertigten 'Annalen eines [Frankfurter] Anonymus' (vgl. FW02, Nr. 82) rezipieren den Bericht weitgehend wörtlich (Annalen eines [Frankfurter] Anonymus, S. 146 f.; Froning, Frankfurter Chroniken des Johannes Latomus [1882], S. 316 f.; Acta aliquot Francofurtana, 434 f.); vgl. auch Backhaus, Einrichtung (1989), S. 83.

Die Hs., die Froning seiner Edition zugrunde legte (fol. 40-41), konnte bislang noch nicht identifiziert werden.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 23.02.2018

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2016, FW02, Nr. 128, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/FW02/FW-c1-002i.html (Datum des Zugriffs)

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