Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Würzburg (1273-1347)

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Bm. Würzburg 1, Nr. 130

[1298 April 20 - Ende Oktober]

In seiner von 1253 bis 1337 reichenden Chronik schreibt Peter von Zittau, Abt des böhmischen Zisterzienserklosters Königsaal: 'Von dem Schlag, den sehr viele Juden in Deutschland im Jahre 1296 (1) erlitten hatten' (De plaga, quam Judei plurimi sustinuerunt in Alemannia. Annus Domini MCCXCVI):

Ein Metzger mit Beinamen (2) Rintfleisch, ein gewöhnlicher und armer Mann von leidenschaftlichem Charakter, aus dem Stamm der Franken - ich weiß nicht, von welchem Eifer derselbe getrieben wurde -, erhob sich mit einer großen Volksschar und ordnete gegen die Juden ebenso viele wie törichte Schlachten an (Carnifex quidam Rintfleisch cognomine, vir degener et pauper, mente acer, nacione de Franconia, nescio quo zelo impellente ipsum, surrexit cum turba plebeia et constituit contra Judeos prelia multa quam stulta). Einmal wiegelte er nämlich plötzlich lärmend das Volk in dem Röttingen genannten Städtchen auf, drang in die Kirche ein, raubte das Kreuz mit der Fahne und griff die Behausungen der Juden an und tötete rasend alle, die er finden konnte, mit Schwertern und Knüppeln. Bald eilte zu diesem Peiniger der Juden (tortor Judeorum) eine unzählige Volksmenge (innumerabile vulgus plebeium), die ein umfangreiches Heer bildete und König Rintfleisch wie ihrem wahren Herrn folgte (… sequentes regem Rintfleisch quasi dominum suum verum …). Sie begaben sich von da an einmütig nach Würzburg, Rothenburg, Windsheim, Nürnberg und weitere Städte und befestigte Orte Deutschlands (… ad Herbipolim, Rotenburg, Windisheim, Nurenberg ac ad plures civitates et oppida Alemanniae se transferunt), in denen sie etwa 10.000 Juden, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht zu nehmen, töteten. Wieviele auch immer in Burgen und Befestigungen (ad castra aut ad munitiones) geflüchtet waren, sie verschlang Rauch und Feuer. Diejenigen, die überall in den Dörfern und auf den Straßen gefunden wurden, hat er mit Speer, Schwert und Knüppel niedergestreckt. Daraufhin überkam sämtliche Juden, auch in weit entfernten Regionen, große Angst. Genau zur selben Zeit begann der fromme Wenzel, sechster König von Böhmen (Bohemia), die Juden zwar nicht ihres Lebens, doch ihres unermesslichen Geldes zu berauben. Ebenso taten es die Fürsten verschiedener Länder, indem sie den Juden das Leben oder das Geld nahmen. Nach allgemeiner Auffassung wurde dieser so ungeheuerliche Schlag dadurch erklärt, dass nämlich in der fränkischen Stadt Röttingen (Rotil) die Juden Christus in der geweihten Hostie und im heiligsten Opfer des Altars gekreuzigt hätten. Einige Juden hatten nämlich, wie behauptet wurde (ut dicebatur), eine von einer christlichen Magd besorgte, geweihte Hostie so lange mit Nadeln und scharfen Nägeln durchbohrt, dass zuerst sie, nachher auch andere aus derselben das Blut herausfließen sahen; andere vermuten dennoch, dass das Geschehene sich ereignet haben mochte aus dem Verlangen, Geld zu rauben (… opinantur tamen alii, quod factum fuerit amore pecuniam rapiendi). Was auch immer es gewesen sein mag, ich weiß, dass die Erlaubnis Gottes für ein so großes Gemetzel vorlag (Quidquid sit, scio, quod de tanta strage permissio Dei fuit).

Jener König Rintfleisch hat Dir, jüdisches Volk, einen schlimmen Untergang bereitet. Dich lehnt er plötzlich ab und hat Dich gleichsam ausgetilgt. Dich hat nämlich Gott soeben verworfen. Und er selbst gibt den Peiniger, der Dich so zur Liebe desselben ermuntern möge, dass Dir seine Gnade zuteil werden möge. O Judaea leide, weil Du immer mit doppelter Anstrengung bedrückt wirst. Hier und an jedem Ort mögest Du gequält werden.

(1) Peter bezieht sich auf die vom 20. April 1298 bis Ende Oktober desselben Jahres andauernden Rintfleischpogrome.

(2) In der Iglauer Handschrift ist cog vom selben Schreiber über dem Wort nomine hinzugefügt worden.

Überlieferung:

Jihlava, Státní okresní archiv, Zbraslavská kronika, fol. 35r/v, Orig., lat.; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. die Einleitungen zu den Editionen von Loserth und Emler.

  • Rubin, Tales (1999), S. 51 f.;
  • Lotter, Hostienfrevelvorwurf (1988), S. 551 f. und 554 f.;
  • Lotter, Judenverfolgung (1988), S. 394, 408, 411 und 415-418.

Kommentar:

Zu Peter von Zittau und seinem Werk vgl. ###BM-c1-0006###. In deutlich verkürzter Form wird der Text Peters von Zittau durch Franz von Prag, der zeitweise als Prediger an der Veitskathedrale und Pönitentiar des Bischofs wirkte, in seiner in drei Redaktionen zwischen 1342 und 1354 überlieferten Chronik mitgeteilt (Chronicon Francisci Pragensis, S. 360). In seiner bis 1346 weitgehend - sogar wörtlich - auf Franz von Prag fußenden, bis 1374 reichenden Chronik des Prager Domherrn und Dombaumeisters Bene%>s Krabice von Weitmühl, berichtet der Hofchronist Karls IV. in stark verkürzter Fassung und inhaltlich verzerrt zum Jahre 1295 von der Ermordung der Juden in Deutschland und angeblich auch in Böhmen: Eodem anno Iudei in Almannia et Boemia inmaniter trucidati sunt (Chronica ecclesiae Pragensis, S. 29). Nach Bene%ribík Pulkava von Radenin, seit 1373 Rektor an der Schule des Prager Kollegiatstifts St. Aegidius, zum Hofhistoriographen. In seiner vornehmlich auf Grundlage seiner 'Vorgänger' abgefassten Chronik berichtigte er die fehlerhafte Information Bene%>ss, allerdings nicht das inkorrekte Datum: Eodem anno eciam Judei occiduntur in Alamania (Kronika Pulkavova, S. 177). Zu Franz von Prag vgl. Zachová, Chronik (1999); Dies., Chronik (1977); zu Bene%>s vgl. Innocenti, Benesch (2001) (mit weiterführender Literatur); zur Hofgeschichtsschreibung unter Karl IV. Bláhová, Hofgeschichtsschreibung (2006); Dies., Ad probos mores (2003); Dies., Offizielle Geschichtsschreibung (1999).

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WB01, Nr. 130, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WB01/WB-c1-00ci.html (Datum des Zugriffs)

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