Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Würzburg (1273-1347)

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Bm. Würzburg 1, Nr. 120

1298 [April 20]

Der dominikanische Autor der Historiae memorabiles schreibt: Zu dieser Zeit hatte ein Jude von einem bösen Christen (Cristianus perversus) eine Hostie bekommen. Daraufhin lud der Jude weitere, von ihm für wert erachtete Juden zu sich nach Hause ein, legte die Hostie vor aller Augen auf den Tisch, indem er sprach: 'Hier ist der Gott der Christen' (Hic est deus Cristianorum), und begann, die Hostie mit einem Eisen (ferrum) zu malträtieren, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um ein göttliches Sakrament handele. Als er die Hostie auf diese Weise verletzt hatte, begann sie reichlich zu bluten. Daraufhin sagte der Jude: 'Das ist der wahre Christengott' (Hic est verus deus Cristianorum). Dann begann die Hostie, in die der Jude bis dahin gerade einmal mit einem Eisen oder Messerchen (ferrum vel cultellus) hineingestochen hatte, zu weinen wie ein etwa dreijähriges Kind. Als der Jude damit fortfuhr, die Hostie zu traktieren, schrie diese umso mehr. Die Nachbarn waren über das Wehklagen und Geschrei eines Knaben erstaunt, weil es in dem Hause des Juden keinen Knaben dieses Alters gab. Der Jude bemerkte dies allerdings nicht und machte sich daran, die Dreieinigkeit Gottes zu überprüfen, indem er die Hostie dreiteilte. Allerdings vereinigten sich die Einzelteile sogleich wieder. Die Frauen des Nachbarhauses beschlossen, eine von ihnen zum Hause des Juden zu schicken, um die Ursache des Geschreis zu eruieren. Als diese sich dem Haus näherte, sah sie den Metzger namens Rintfleisch (carnifex dictus Rindflaisch) vorübergehen, rief ihn herbei und sagte ihm, dass im Haus ein kleiner Knabe schreie und sie glaube, dass die Juden ihn töten wollten. Auf das Rufen des Metzgers antworteten die Juden nicht. Statt dessen verbargen sie die Hostie sorgfältig. Als der Metzger lauter rief und die benachbarten Armen (pauperes vicini) zusammenliefen, erbrachen sie schnell das Haus des Juden, ergriffen die dort versammelten Juden und schleppten sie vor Gericht. Es nützte den Juden auch nichts, dass sie falsche christliche Zeugen (falsi testes Cristiani) beibringen wollten, die ihre Unschuld beschwören sollten. Sie wurden dennoch zum Tode verurteilt. Inzwischen waren die Armen (pauperes) in die Häuser der Juden eingedrungen, hatten sich den Besitz der Juden angeeignet und die Häuser völlig zerstört. Als die Bauern der benachbarten Dörfer (rustici vicinarum villarum) dies hörten, eiferten sie jenen nach, indem sie die bei ihnen ansässigen Juden ergriffen, ihren Besitz raubten und ihre Häuser und ihre Körper durch Feuer in Asche verwandelten (… domos et corpora Judeorum per focum ad cineres perduxerunt.).

Überlieferung:

Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek, Ms. 704, fol. 201r/v, Abschr. (Mitte 16. Jh.), lat., Papier; Sigmaringen, Fürstlich Hohenzollernsche Hofbibliothek, cod. 64, fol. 182v-183v (Abschr., Mitte 16. Jh.).

  • Rudolf von Schlettstadt, Historiae memorabiles, Nr. 6, S. 49-51.
  • Rubin, Tales (1999), S. 54;
  • Grabmayer, Diesseits (1999), S. 257, 260 und 270;
  • Grabmayer, Rudolf (1994), S. 314-316;
  • Lotter, Judenbild (1993);
  • Lotter, Judenverfolgung (1988), S. 395 f.

Kommentar:

Zu den fälschlich Rudolf von Schlettstadt zugeschriebenen Historiae memorabiles aus dem Umfeld der Colmarer Dominikaner vgl. EL01, Nr. 31.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WB01, Nr. 120, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WB01/CP1-c1-01k0.html (Datum des Zugriffs)

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