Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Würzburg (1273-1347)

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Bm. Würzburg 1, Nr. 137

1298 [zwischen April 20 und Juli 31]

Der dem Dominikanerorden angehörende Autor der Historiae memorabiles schreibt: Ein gewisser Jude namens Vivelin (Wivilinus) hatte sich eine geweihte Hostie beschafft und mit Sorgfalt aufbewahrt, um mit ihrer Hilfe Reichtum zu erlangen. Er hatte einen Verwandten namens Joselin, dem er wohl gesonnen war und dem er im Geheimen anvertraute, dass er, wenn er reich werden wolle, auf irgendeine Art und Weise in den Besitz des 'kleinen Gottes der Christen, so nennen die bösen Juden die geweihte Hostie' (parvus deus Cristianus - ita nominant perversi Iudei hostiam consecratam), gelangen müsse, damit diese ihm ebenso wie ersterem helfen werde. Daraufhin verkleidete sich Joselinus, ging in die Kirche, erhaschte einige - allerdings ungeweihte - Hostien und ging wieder nach Hause. Dort verstaute er sie sorgfältig und ehrerbietig in einem Kästchen. Als er nach einigen Wochen noch immer keine Vorteile erkennen konnte, offenbarte er sich traurig seinem Verwandten. Der sagte, dass es wohl nur daran liegen könne, dass die Hostien möglicherweise nicht geweiht seien. Er solle die Probe machen und sie ins Feuer werfen. Nicht geweihte Hostien verbrennten, während Feuer einer geweihten Hostie nichts anhaben könne. Dies hätten nämlich einige der ihren nach einem derartigen Versuch gesagt. Joselin beschafte sich neuerlich eine Hostie und warf sie, um sich von ihrer Echtheit zu überzeugen, vor den Augen weiterer Juden in ein großes Feuer. Die Hostie verharrte lange Zeit zwischen den Kohlen, ehe sie sich dann vor aller Augen erhob und zur Erde fiel. Der verwirrte Jude hob die Hostie voller Ehrfurcht auf, wickelte sie in ein sauberes Tuch und verstaute sie in einem Kästchen. Der Jude begann - ebenso wie die viele Vornehme - auf wunderbare Weise einen Überfluss an allen Gütern zu erlangen. Das Gerücht von dem Juden Joselin gelangte zu einem reichen Juden, der noch mehr begehrte. (1) Also bemächtigte dieser sich selbst mit aufwändiger List und durch Bestechung unter größten Mühen des Herrenleibes. Er glaubte nämlich fest, dass er durch die Präsenz Christi einen Überfluss an sämtlichen Gütern anhäufen und mit den Vornehmen gleichziehen könne, was der allmächtige Gott hätte bewerkstelligen können, wenn der Jude seinen Glauben hätte eintauschen wollen. Aber er dachte keinesfalls daran, den Glauben zu wechseln. So erkrankte der Jude an schlimmsten Leiden, und die Kräfte verließen ihn von Tag zu Tag. Schließlich drohte er Jesus Christus, weil er ihn hatte erkranken lassen und ihm seine Güter geraubt hatte, ihm das anzutun, was seine Vorfahren (patres mei) Jesus einst angetan hatten. Nachdem er das gesagt hatte, wurde er umgehend geheilt. Als er dies anderen Juden erzählte, beschafften diese sich Hostien und fügten ihnen viele Drohungen und Schmerzen zu, um sich am Herrn rächen und ihn dienstbar zu machen. Derart sind mehr als 100 Hostien gestohlen worden, die später bei der Zerstörung jüdischer Häuser in diesen aufgefunden wurden. An vielen Orten hatten die Juden sich auf verschiedene Art das Sakrament Christi verschafft und es an den schändlichsten Plätzen verborgen.

(1) Die Abschrift aus der Fürstlich Hohenzollernschen Hofbibliothek ergänzt an dieser Stelle, dass dieser Jude zwar reich, aber unzufrieden war und voller Habgier wünschte, seinen Besitz zu vermehren: … qui erat dives, sed non contentus et ex mera avaricia desideravit suam substanciam augmentare; vgl. Georges, Graf (1999), S. 60.

Überlieferung:

Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek, Ms. 704, fol. 200v-201r, Abschr. (Mitte 16. Jh.), lat., Papier; Sigmaringen, Fürstlich Hohenzollernsche Hofbibliothek, Cod. 64, fol. 181v-182v (Abschr., Mitte 16. Jh.).

  • Rudolf von Schlettstadt, Historiae memorabiles, Nr. 5, S. 47-49.
  • Rubin, Tales (1999), S. 54;
  • Grabmayer, Rudolf (1994), S. 332 f.;
  • Lotter, Judenbild (1993), S. 438 f.;
  • Lotter, Judenverfolgung (1988), S. 397.

Kommentar:

Zu den Rudolf von Schlettstadt zugeschriebenen Historiae memorabiles aus dem Umfeld des Colmarer Dominikanerkonvents vgl. EL01, Nr. 31. Die Erzählung weist zahlreiche Parallelen zu einer anderen der selben Sammlung auf; vgl. WB01, Nr. 138.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WB01, Nr. 137, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WB01/CP1-c1-00vd.html (Datum des Zugriffs)

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