Judenbetreffe im Rothenburger Landgerichtsbuch (1273-1347)

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Rothenburger Landgerichtsbuch 1, Nr. 181

1346 Mai 5, Rothenburg o. d. T.

Der Schreiber (scriba) Salman (ר' זלמן סופר) wird nach Aussage des hebräischen Textes von den Führern der Gemeinde Rothenburg (ראשי קהל רוטנבורק), die in der lateinischen Version als Rat der jüdischen Gemeinde Rothenburg (Magistratu(s) Judeorum in Rotenburg) bezeichnet werden, zum gesetzlichen Vormund der Kinder Judelin (יודלין) und Trudelin (טרוטלין) bestellt. Diese sind die Waisen und Erben der Jüdin Bella (Bele) von Steten (בילא משטטן), Frau des Boker (Bogkers) (בוקר). Alles, was Salman in seiner Funktion als Vormund ('אפטרופ) für die Kinder regelt, muss zu deren Nutzen geschehen und hat rechtliche Gültigkeit. Verbindlichkeiten, die bei Frau Bella aufgenommen und bei Salman getilgt wurden, gelten gegenüber den Erben als abgegolten. Die Waisen bestätigen in der lateinischen Version des hebräischen Textes vor dem Landgericht Rothenburg (coram nobis in figura iudicii), dass sie den Vormund aus freiem Willen (libere et sponte) erwählt haben. Den hebräischen Text bezeugt mit seiner Unterschrift im Namen der Gemeindevorsteher Simcha Jakob, Sohn des Jehuda Halevi (1) (שמחה יעקב בר' יהודה הלוי שליט' על פי ראשי הקהל).

Anno Domini M CCC XLVI, feria sexta post Walpurgis.

(1) Transkription und Übersetzung beider Texte bei Kwasman, Grabsteine (1993), S. 115-117. In der hebräischen Transkription sind zwei für den Inhalt nicht relevante Fehler unterlaufen (Fehlen eines diakritischen Zeichens sowie Lesen eines anderen Zeichens statt eines "waw"). Gravierender ist die falsche Übersetzung des Datums im hebräischen Text. Richtig muss sie lauten: "Ich schrieb am Sonntag, am 14. Ijar im Jahre 106 nach der (kleinen) Zählung". Überzogen ist darüber hinaus die konkrete Identifikation der figura iudicii im lateinischen Text als Reliefdarstellung des Jüngsten Gerichts im Kaisersaal des Rothenburger Rathauses ebd., S. 117. In figura iudicii bedeutet lediglich "in Anwesenheit des Gerichts", "vor Gericht". Zum möglichen Zusammenhang der Vormundschaft mit einem Rothenburger Grabstein von 1344 (vgl. RO01, Nr. 50), ferner, in aller Vorsicht, Kwasman, Grabsteine (1993), S. 115. Gleichfalls fragwürdig sind Kwasmans Überlegungen zur Bedeutung des männlichen Vornamens Boker und seiner möglichen Eindeutschung als Guttag; vgl. ebd., S. 116. Beider, Ashkenazic Given Names (2001), scheint die Variante nicht zu kennen.

Steten könnte im Einflussbereich des Rothenburger Landgerichts sowohl Stetten bei Künzelsau (BAW) als auch Niederstetten (BAW) sein; daneben sind aber auch weiter entfernt liegende Herkunftsorte der Bella (z. B. Stetten am kalten Markt oder Stetten bei Burladingen) denkbar.

Überlieferung:

Rothenburg o. d. T., StadtA, B 296, fol. 68r, Orig., hebr. u. lat., Perg.

  • Kwasman, Grabsteine (1993), S. 115-119.
  • Kwasman, Grabsteine (1993), S. 115-117.

Kommentar:

Zum Rothenburger Landgerichtsbuch I vgl. RL01, Nr. 1. Die Besonderheit der vorliegenden Bestallung liegt in der zweifachen Eintragung sowohl einer hebräischen - womöglich die Abschrift eines Urkundetextes - als auch einer lateinischen Variante in das Landgerichtsbuch. Durch den Ort der Eintragung tritt der spezielle Königsschutz für Waisen deutlich vor Augen. Die Abmachung gewinnt somit in beiden Rechtskreisen, dem jüdischen und dem des Reichsrechts, in ihrer jeweils spezifischen Ausprägung allgemeine Gültigkeit. Sie ist in dieser Form wohl einmalig.

(csm.) / Letzte Bearbeitung: 06.04.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2013, RL01, Nr. 181, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/RL01/CP1-c1-02it.html (Datum des Zugriffs)

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