Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)

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273 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 128.

Norddeutschland 1, Nr. 128

[zwischen etwa 1330 und 1350], Goslar

Passagen zum städtischen Judenrecht aus dem Goslarer Stadtrecht aus der Zeit zwischen etwa 1330 und 1350:

2 I §§ 70-72 (unter der Rubrik Van duͦue)

Bei Diebstahl gilt (wert guͦt vorstolen): Der Jude, den man darüber informiert und dem man das Diebesgut benennt (welkeme iuͦden men dat weten let unde eme de duͦve benomt wert), der darf, wenn er darum [d. h. um Annahme als Pfand] gebeten wird (unde dar umme ghebeden wert), nicht mehr als ein Viertel dessen bezahlen, was das Diebesgut im Verkauf wert ist (nicht mer up don denne dat verde del, dat dat guͦt ghelden mochte, of men dat vorkopen scuͦlde). Wendet er mehr auf, verliert er das darüber hinaus Gezahlte (det he dar mer up, dat dar boven is, dat heft he vorlorn) oder er muss beeiden (oder he mot sin recht dar to don), dass er es gezahlt hat, bevor Diebstahl und Diebesgut ihm bekannt gemacht worden sind (dat he sine penninghe oder sin ghelt dar up hedde ghedan, er it ime ghekundighet worde) oder dass ihm unbekannt war, dass er in einem solchen Fall derartig verfahren muss (oder dat eme dar af nicht to wetene ne were dan, dat he dar so scuͦlde bi varen).

Für jeglichen Diebstahl gilt (wert en guͦt vorstolen, it si welkerleye dat si): Fragt man danach, wo man das Diebesgut vermutet (vraghet men dar umme, dar men sich des vormodet), sei es bei einem Christen oder einem Jude (it si en kersten oder en iode), und er leugnet (vorseket he des), so ist er am Diebstahl schuldig (so is he sculdich an der duͦve), wenn man ihn überführt (of men des boven ine kumt). Bekommt er es, nachdem er danach gefragt worden ist, soll er es dem, der darum fragte, offenbaren (wert it ime seder, dat he dar umme ghevraghet is, dat scal he openbaren deme, de ine dar umme gevraghede). Kann er diesen nicht finden oder weiß er nicht, wer der ist, soll er es dem Vogt und dem Rat zur Kenntnis bringen (ne mach he des nicht hebben oder ne weyt he nicht we de is, so kundighe he dat deme voghede unde deme rade). Tut er das nicht, so ist er schuldig an dem Diebesgut, wenn man ihn deswegen überführt, dass er es in seinem Besitz hat (ne deyt he des nicht, so is he aver sculdich an der duͦve, of men des boven ine kumt, dat he it in sinen weren hebbe). Bekennt er aber, es sei ihm unbekannt und gestattet er eine Durchsuchung (sprikt he aver, it si ime unwitlik, he wille alle sine slot openen unde staden to sokende), so schadet das seinen Ehren und seinem Recht nicht (dat ne scadet ime to sinen eren nicht, noch to sineme rechte nicht), wenn man das Diebesgut findet (vint men dat wol). (1)

Muss sich ein Jude von einem Friedensbruch durch Eid befreien (scal sik ok en iuͦde vredebrake untsculdighen) oder Gut behalten, auf das er gerichtlich Anspruch erhoben hat (oder guͦt beholden, dat he gheanevanghet heft), darf er das mit anderen Juden, ehelich geboren und unbescholten in ihrem Recht, tun (dat mach he don mit anderen iuͦden echt gheboren unde de unbesculden sin an irme rechte). (2)

3 § 50 (unter der Rubrik Van panden)

Lässt ein Jude (iuͦde) einem Bürger (borghere) oder einem Gast (gaste) ein Pfand zur Einlösung verkünden (en pant upbeden), soll er es diesem sechs Wochen und drei Tage aufbewahren, ehe er es sich gerichtlich übertragen lässt (er he sich des vrede werken late) (3).

3 § 141 (unter der Rubrik Van eden)

Ein Jude, der einen Eid leisten soll, der soll seine rechte Hand in die fünf Bücher Mose legen und soll sprechen (welk iuͦde enne edh don scal, de scal sine vorderen hant leghen in de vif buͦke moẏseses unde scal spreken): Die Schuld, die man ihm vorwirft, an der sei er unschuldig, dass ihm Gott also helfe und die fünf Bücher Mose und das göttliche Gesetz, das Gott Mose auf dem Berg zu Sinai gab, der Gott, der Himmel und Erde, Laub und Gras, Berg und Tal geschaffen hat (de scult, de men ime ghift, dat he der unsculdich si; dat ime god also helpe unde de vif buͦke moẏseses und de e, de god gaf Moysi up dem berghe to synay, de god, de himel unde erden, lof unde gras, berch unde dal ghescapen hevet). (4)

3 § 163 (unter der Rubrik Wes men vveren schal)

Für das, was ein Jude verkauft, gilt (wat en iuͦde vorkoft): Wird das Gut rechtlich beschlagnahmt und bekennt der Jude den Kauf vor Gericht, so soll er dafür dem Recht nach Gewährsmann sein (wert dat guͦt anevanghet unde bekant de iuͦde des kopes vor gherichte, des scal he to rechte ghewere sin). Der Jude erleidet keinen weiteren rechtlichen Nachteil, außer dass er das Gut zurückgeben muss, das er zuvor erhalten hat (de iuͦde ne lidet nene not vorbat, sunder he mot weder gheven dat guͦt, dat he dar vore up ghenomen heft).

4 I § 13 (unter der Rubrik Van tughen)

Unmündige Kinder (kindere binnen iren iaren), Toren (doren), geistesgestörte Leute (sinnelose lude), Juden (iuͦden) und Frauen (wives namen) dürfen nicht Zeugnis leisten (ne moghen nicht tughen).

4 I § 34 (unter der Rubrik Van tughen)

Der Jude, der sich gerichtlich als Zeuge erbietet (welk iuͦde sich tughes vormit mit gherichte), der soll Zeugnis leisten mit dem Richter und mit rechtserfahrenen Christen (de schal tughen mit deme richtere und mit kerstenen luden, de vuͦlkomen sin an irme rechte). (5)

4 II § 21 f. (unter der Rubrik Van anevanghe)

Für das, was ein Jude verkauft, gilt (wat en jode vorkoft): Wird das Gut rechtlich beschlagnahmt und bekennt der Jude den Kauf vor Gericht, so soll er dafür dem Recht nach Gewährsmann sein (wert dat guͦt anevanghet unde bekant de jode des kopes vor gherichte, des schal he to rechte were sin). Der Jude erleidet keinen weiteren rechtlichen Nachteil, außer dass er das Gut zurückgeben muss, das er dafür erhalten hat (de jode ne lidet nene not vorbat, sunder he mot weder gheven dat guͦt, dat he dar vore up ghenomen hevet). (6)

In seinen vier Wänden darf man dem Juden nichts beschlagnahmen, es sei denn, er behält dabei seine Pfennige (binnen den ver wenden ne mach men deme joden nicht anevanghen, he ne beholde sine penninghe dar an). Kelche, Bücher, Gewänder und was (sonst) zum Gottesdienst gehört, darf er nicht zum Pfand annehmen, es sei denn, er hat dafür gute Gewährsleute (kelke, boke, gherewant unde wat to goddesdenste hort ne schal he nicht to pande nemen, he ne hebbe des guͦde weren). Nimmt er Kelche, Messbücher oder Gewänder als Pfand, darf er diese nicht in seinem Besitz aufbewahren, vielmehr muss er diese einen Christen, dem er vertraut, für sich aufbewahren lassen (nimmt he ok kelke, missebuͦke oder gherewant to pande, dat ne schal he in sinen weren nicht beholden, mer emme kerstenen manne, deme he wol truwe, schal he dat beholden laten to siner hant).

(1) Vgl. die Bestimmung in Buch 4, Abschnitt II, § 22, 1. Satz. Die Regelung gilt ausdrücklich für Christ und Jude gleichermaßen, bei beiden wird also auch von einem identischen Begriff von 'Ehre' (eren) ausgegangen.

(2) Es besteht ein Widerspruch zur generellen Zeugnisunfähigkeit in Buch 4, Abschnitt I, § 13.

(3) Eigentlich 'Friedewirken lassen', gemeint ist die gerichtliche Zuerkennung von Eigentum.

(4) Der Eid erfolgt also auf die Tora mit einer vierteiligen Unschuldsbeteuerung, und zwar auf Gott, den Pentateuch, die Zehn Gebote und den Schöpfergott. Eine solche erneute und abschließende Anrufung Gottes ist ungewöhnlich. Üblicherweise wird die Erwähnung Gottes als Schöpfer bei der ersten Nennung Gottes eingebunden. Magin, Status (1999), S, 321 f. vermutet deshalb ein Schreiberversehen, der den Nachtrag nötig gemacht habe. Für eine Goslarer Sonderform des Eides sprechen das Fehlen von Selbstverfluchungen, die Verwendung der 3. Person Singular und der Verzicht auf einen Vorsprecher. Vgl. auch den Eid in der Rechtsweisung des Goslarer Rates von 1433 (###NO-c1-003d###).

(5) Das widerspricht zum Teil dem zuvor in § 13 festgehaltenem generellem Zeugnisverbot für Juden. Zwar werden der Richter und weitere voll rechtsfähige Christen eingebunden, doch geht das Zeugnis vom Juden aus. Der Begriff vormeten gegebenenfalls mit negativem Unterton, im Sinn von 'sich anmaßen'. Auch sonst kennt das Goslarer Stadtrecht eine Passage, die das Zeugnis des Juden voraussetzt (Buch 2, Abschnitt I, § 72); vgl. dazu Stobbe, Juden (1923), S. 150; ferner die Rechtsweisung des Goslarer Rates von 1433 (###NO-c1-003d###).

(6) § 21 wiederholt also beinahe wörtlich die Bestimmung aus Buch 3, § 163.

Überlieferung:

Göttingen, SUB, 8° Cod. Ms. jurid. 681, fol. 34v, 35r, 62r, 71v, 72r, 74r, 85r, 87r, 93r und 93v, Abschr. (Mitte/Ende 14. Jh.), dt., Perg. ; zu weiteren Abschriften vgl. Kommentar.

  • Stadtrecht von Goslar, S. 84 f. (2 I §§ 70-72), 126 (3 § 50), 142 (3 § 141), 146 (3 § 163), 163 (4 I § 13), 165 (4 I § 34), und 173 (4 II § 21 f.) [A-M];
  • Goslarische Statuten, S. 39, Z. 26 - S. 40, Z. 833, S. 67, Z. 34-36, S. 78, Z. 30-35, S. 81, Z. 6-9, S. 93, Z. 8 f., S. 95, Z. 8-10, und S. 100, Z. 12-22 [A, B, D, E, G, H, J];
  • Goslarer Ratskodex, S. 274-277 (2 I §§ 70-72), 422 f. (3 § 50), 478 f. (3 § 141), 490 f. (3 § 163), 544 f. (4 I § 13), 554 f. (4 I § 34) und 582 f. (4 II § 21 f.) [J];
  • Scriptores rerum Brunsvicensium 3, S. 501, §§ 70-72, S. 515, § 50, S. 521, § 142, S. 522, § 164, S. 528, § 13, S. 529, § 34, und S. 531, §§ 21 f. [G].

Kommentar:

Das Stadtrecht von Goslar ist das umfangreichste Stadtrecht des deutschen Mittelalters (annähernd 900 Paragraphen in fünf Büchern). Eine genaue Datierung der ersten Niederschrift geltenden Rechts ist nicht möglich. Nach Ebel (Stadtrecht von Goslar) ist es wahrscheinlich um das Jahr 1330 erstmals aufgezeichnet worden, eine zweite Redaktion erfolgte um 1350. Das Recht wirkte über die Stadt Goslar hinaus und wurde auch von anderen Städten übernommen. Es enthält u. a. auch mehrere Bestimmungen zum Judenrecht.

Eine Urschrift des Stadtrechtes ist nicht erhalten, es sind aber - dem Handschriftencensus (handschriftencensus, Stadtrecht von Goslar) folgend - 15 vollständige beziehungsweise umfangreichere Handschriften (A-P) und fünf - in unserem Zusammenhang unerhebliche - Fragmente (Q-U) bekannt. Ebel konnte sich für seine Edition (1968) lediglich auf sechs Handschriften der ersten Redaktion (A-F, wobei E für Ebel als Verlust galt) und sechs der zweiten Redaktion (G-M) stützen.

Das Verhältnis der Handschriften untereinander ist nicht zu bestimmen. B ist wohl die älteste Handschrift (Wolfenbüttel, HAB, Cod. 14.13, Aug 4°), dürfte aber aufgrund ihrer teilweisen Singularität der Urschrift gewiss nicht am nächsten stehen. Die maßgeblichen Editionen von Ebel (Stadtrecht von Goslar) und Göschen (Goslarische Statuten) sind deshalb auf Grundlage von Handschrift A (Göttingen, SUB, 8° Cod. Ms. jurid. 681, fol. 3r-102v) entstanden. Die unlängst, im Jahr 2013 erfolgte Edition der Handschrift J (Goslar, StadtA, B 823, fol. 19r-190r. Perg., Mitte 14. Jh.; Goslarer Ratskodex) trägt Lokalinteresse Rechnung.

Zum Stadtrecht vgl. Goslarische Statuten, S. V-XII; Stadtrecht von Goslar, S. 7-26; Goslarer Ratskodex, S. 17-77 sowie Lockert, Stadtrechte (1979), S. 201-207 und Graf, Reichsstadt (2002).

Die relevanten Passagen zum städtischen Judenrecht finden sich im Anfangsteil von Buch 2 (Van vredebrake = Vom Friedensbruch, Unterabschnitt: Van duͦue = Vom Diebstahl), in Buch 3 (Van richte, van klaghe = Von Gericht und Klage, Unterabschnitte: Van panden = Von Pfändern, Van eden = Von Eiden und Wes men vveren schal = Was man gewährleisten muss) und im ersten (Van tughen = Von Zeugen) und zweiten Abschnitt von Buch 4 (Van anevanghe = Von der rechtlichen Beschlagnahme). Die Bestimmungen zeigen zwei grundsätzliche Tendenzen: vergleichsweise freizügige wirtschaftliche Bestimmungen und einen eingeschränkten Rechtsstatus, der aber nicht durchgängig aufrecht erhalten wird. Zudem lassen sich unterschiedliche Redaktionen erahnen; vgl. Magin, Status (1999), S. 108-110.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 22.01.2021

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 128, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-003b.html (Datum des Zugriffs)

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