Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)

Zurück zur Übersicht

273 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 187.

Norddeutschland 1, Nr. 187

1338 November 1, Goslar

Der Rat der Stadt Goslar bekundet, dass er allen Juden, die in der Stadt Goslar leben oder noch dorthin ziehen, für drei Jahre seine Judenschule, die er ihnen im Gosewinkel hat bauen lassen, mit ganzer Vollmacht verpachtet hat, dieselbe Judenschule zu ihrem Gottesdienst, den Haus und den Hof, die dazu gehören zu ihrem anderen Bedarf. [Der Rat gestattet] allen dahin zu gehen und Gottesdienst zu halten ohne irgendwelche List und Einsprüche, damit sie innerhalb der Stadt keine andere Judenschule zu ihrem Gottesdienst haben sollen (We de .. rad to Goslere bekennen in disseme openen breve, dat we mit gantzer vulbord hebbet ghedan (1) to dren iaren alle den juͦden, de mit os in user stad wonhaftich sin unde noch darin komen, de mit os willen wonen, use juͦdenschole, de we en in deme Goͤsewinkele (2) hebbet ghebuwed unde ghemaket laten, de silven juͦdenschule to ereme sanghe, hus unde hof, de darto horen, (3) to andereme ereme behove, allen darin to gande unde to singhede sunder yengerhande list unde wedersprake, also dat se binnen user stad nummer nene juͦdenschole mer to ereme sanghe hebben schuͦllen). Auch sollen sie die vorbenannte Synagoge in dem Gosewinkel weiterführen und pflegen und weder verschmähen noch herabsetzen (Ok schuͦllen se de vorbenomden schole in deme Goͤsewinkele vordsetten unde verheghen unde nicht versman noch verlichtleken an neuen stuͦcken). Sie sollen diese Schule finanzieren mit den Einnahmen aus allem Verkauf, den sie am letzten Tag ihres Laubhüttenfestes vorzunehmen pflegen, wenn sie alle in ihre Synagoge gehen, jeder einzelne nach seinem Vermögen (Se enschuͦllen disse schole holden an alleme kope, den se lateren dages erer lofrotinghe plegen to kopende (4), do se ok alle in ene schole ginghen, mallek alse he wol vermoghe). Mit der Ausnahme, dass sie uns darauf in diesen drei Jahren jährlich zum Martinstag ohne Verzug sechs Mark lötigen Silbers als Zins zahlen (mit disseme underschede (5), dat se disse dre iar io des iares tu sente Martines daghe (6) ses mark lodeges suͦlveres to tinse os schuͦllen daraf gheven […] (7) ane hinder). Diese sollen von dem besagten Verkaufserlös nehmen, von dem, was sie rechtmäßig einnehmen und was ihnen davon noch zukommt (De schullen se nemen van dem vorbenomden kope an deme, dat se rede daraf hebben unde en noch daraf werd). (8) Sollten sie den Zins aus diesen Verkaufserlösen nicht gänzlich aufbringen können, dann sollen die vorgenannten Juden das Fehlende unter sich einwerben wie es billig und recht ist (Were ok, dat se dissen tins van disseme vorbenomden kope nicht al soken noch hebben mochten, wes en daran enbreke, dat schuͦllen de vorbenomden juͦden under sek soken unde irwerven, alse beschedelek unde lik is). (9) Ferner soll keiner dieser Juden schlachten oder schlachten lassen zum Schaden der Knochenhauer, die sie schon ausgewählt haben oder die sie während dieser drei Jahre noch aussuchen werden (Vordmer ne schal nener disser iuͦden sniden eder sniden laten up der knokehowere schaden, de se rede koren hebbet eder noch kesen binnen dissen dren iaren). Wenn aber die besagten drei Jahre abgelaufen sind, dann sollen die vorgenannten Juden künftig für die Schule geben, was sie vom dann amtierenden Rat nach dessen Gnade und Wille erreichen können (Wanne aver disse vorbenomden dre jar ummekomen sind, so schuͦllet denne disse vorbenomden iuͦden vordmer van der schole gheven, wad se in des rades, de denne sit, gnaden unde willen hebben moghen). (10) Zur Bestätigung dieser Sache wird den Juden eine Urkunde mit Stadtsiegel übergeben (to eneme orkunde disser dingh hebbe we en dissen bref ghegeven beseghelet mit user stad ingheseghele).

Disse bref is ghegeven na der bord goddes dritteynhundert iar in deme achteundedrittegesten iare, in alle goddes hilgen daghe. (11)

(1) Das Verb ghedan ist der Laufzeit von drei Jahren wegen im Sinne von 'verpachten' oder 'vermieten' zu verstehen.

(2) Nähe Hokenstraße, vgl. Borchers, Villa (1919), S. 30, Nr. 24. GJ 3, 1, S. 450, vermutet die Synagoge an der Ecke Gosewinkel/Fischemäkerstraße, weil diese Ortsbezeichnung in späteren Quellen belegt ist. Vgl. zur Lagebestimmung Paulus, Architektur (2007), S. 291 f.

(3) Der Neubau umfasst also nicht nur das eigentliche Bethaus, sondern umfasst auch Haus und Hof (vermutlich als Wohnstätte für Bedienstete oder den Schulmeister). Vgl. Lange (a. O.). Archäologisch lassen sich diese Bauten nicht mehr nachweisen. Der Heimatforscher Hans-Günther Griep hat allerdings einen 1959 ergrabenen und etwa um 1350 verfüllten Schacht im Bereich der Häuser Bäckerstraße 32 und 33 (also unweit des Gosewinkels) und Teile einer 1977 entdeckten Anlage (Brunnen und Schächte) in der Kurze[n] Straße (ehemals Judenstraße, heute Charley-Jacob-Straße) als Judenbad beziehungsweise Kelim-Mikwe gedeutet; vgl. Griep, Ausgrabungen (1962), S. 91 f., und Griep, Ausgrabungen (V) (1983), S. 20-24; dazu auch die Einschätzung in GJ 3, 1, S. 453, Anm. 9, und Harck, Studien (2014), S. 339 f. und 518 f.

(4) Der hier angesprochene Brauch, die Ämter in der Synagoge am Tag nach dem Laubhüttenfest, am Fest der Torafreude (Simchat Tora) zu verkaufen oder zu versteigern, ist für das 14. Jahrhundert sonst nicht belegt, wird aber von Margaritha, Glaub (1530), fol. R III v - S I v (nach Zählung einer weiteren Ausgabe desselben Jahres: T I v - T IV r) ausführlich beschrieben; vgl. GJ 3, 3, S. 2085. Die Versteigerung zu diesem Termin profitiert von dem Umstand, dass alle Gemeindemitglieder - auch die außerhalb lebenden -, also sämtliche Nutznießer der Synagoge, vor Ort sind. Die Kosten für den Unterhalt der Bauten konnte so auf einen breitere Basis gestellt werden (für den Hinweis auf die Zusammenhänge ist Herrn Dr. Christoph Cluse, Trier zu danken).

(5) Die Ausnahme (underschede) bezieht sich darauf, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Ehrenämter nicht per se als Synagogenzins an den Rat abgeführt werden. Das steigerte zum einen die Bereitschaft zum Kauf der Ämter (und war vielleicht auch aus religiösen Vorbehalten nicht statthaft), zum anderen gab die davon losgelöste Pauschalsumme der Gemeinde die Chance, bei der Versteigerung mehr als die benötigten sechs Mark einzunehmen.

(6) November 11.

(7) Es folgen eine Lücke und ein eradierter Buchstabe.

(8) Das trägt offenbar dem Umstand Rechnung, dass die Versteigerungserlöse nicht immer sofort entrichtet werden. Auch die Ansprüche auf später eingehende Kaufgelder können so für den Synagogenzins berücksichtigt werden.

(9) Damit umgeht der Rat das Risiko, dass bei der Versteigerung der Pachtzins nur teilweise aufgebracht wird. Die fehlende Summe musste von der jüdischen Gemeinde dann auf andere Weise beschafft werden.

(10) Ende 1341 war also nach Ablauf der alten Pachtvereinbarung (6 Mark Silber / Jahr) eine Neuregelung (wiederum auf Pachtbasis) zu finden. Eine Urkunde vom 6. Dezember 1347 (NO01, Nr. 272) spricht von einem damals gültigen Schulzins in Höhe von zwei Mark. Der Pachtvertrag dürfte also zu günstigeren Bedingungen verlängert worden sein. Über die Dauer ist nichts bekannt, Urkunden von 1356 (###NO-c1-0035###) und 1358 (###NO-c1-0038###) verweisen allerdings auch auf den 'Schulzins', die von 1356 (###NO-c1-0035###) auf eine Pacht in Höhe von ebenfalls zwei Mark. Es ist also davon auszugehen, dass sich das Gebäude weiterhin im Stadteigentum befand und lediglich zur Nutzung an die Judengemeinde verpachtet wurde. Nach Lange, Geschichte (1994), S. 39, soll sich die Synagoge ab 1349 im Besitz (im Sinn von Eigentum) der Gemeinde befunden haben - so auch Paulus, Architektur (2007), S. 291. Das ist aber eine Missdeutung von GJ 2, 1, S. 285, wo lediglich festgehalten wird, dass die Gemeinde bis 1349 im Besitz der Synagoge war, also sie nutzte und die Pacht bezahlte.

(11) Am oberen Seitenrand des Kopialbuches ist von älterer Hand des 14. Jahrhunderts die Überschrift de contractu iudeorum Goslariensium ratione sinagoge hinzugefügt.

Überlieferung:

Goslar, StadtA, B 825, fol. 101v, [Nr. 290], Abschr. (1. Hälfte 14. Jh.), dt., Perg.

Kommentar:

Zum Verwaltungsbuch vgl. NO01, Nr. 100.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 22.01.2021

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 187, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-0030.html (Datum des Zugriffs)

Lizenzhinweis

Die Datensätze stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und können unter Berücksichtigung der Lizenzbedingungen frei nachgenutzt werden. Sofern nicht anders angegeben, sind die verwendeten Bilder urheberrechtlich geschützt.

Zurück zur Übersicht