Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 197

[um 1338]

In einer eigenständigen Glossen- und Kommentarsammlung aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu der von 1347 bis 1349 abgefassten Chronica metrificata des Reutlinger Kaplans Hugo Spechtshart (1) befinden sich mehrere Glossen der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im Anschluss an die wörtliche Wiedergabe des kaiserlichen Befehls an den Grafen Ulrich III. von Württemberg von 1330 zur Beschlagnahme des Guts sämtlicher Kleriker in Ober- und Niederschwaben, die sich weigerten zu singen (2), wird dort unter anderem mitgeteilt, dass sich in diesen Jahren (eisdem eciam annis) (3) die Juden einer größeren Ehrerbietung erfreut hätten als der Klerus (… iudei in maiori reverentia quam clerici habebantur), der in Reutlingen (in Ruͤtlingen) fast zwölf Jahre lang das päpstliche Interdikt befolgt habe. (4) Als dieser sich weiterhin weigerte, öffentlich zu singen, sei auf Befehl der Bürger und Bitten der Vögte verkündet worden, dass niemand einen sich dem kaiserlichen Willen widersetzenden Kleriker aufnehmen dürfe. Widrigenfalls habe er eine Strafe von 5 Pfund Hellern zu zahlen. Dieselbe Strafe wurde denjenigen angedroht, die einen Juden mit Taten oder Worten belästigten (Et finita tali clamatione denuo proclamabat sub pena quinque librarum, ne quis aliquem iudeum dictis vel factis molestaret). (5) Wertend fügt der Glossator hinzu: Ecce qualis conventio Christi ad Belial.

(1) Der mutmaßliche Autograph der Handschrift befindet sich in St. Petersburg (Nationalbibliothek, Lit. O XIV, Nr. 6). Obgleich darin zahlreiche Glossen von der Hand des Schreibers enthalten sind, der kurz nach der Jahrhunderthälfte eine zweite selbständige Kommentar- und Glossensammlung zu Hugos Chronik angefertigt hat (St. Petersburg, Nationalbibliothek, Lit. O XIV, Nr. 3), fehlt die oben angeführte mit dem dezidierten Bezug zu Juden.

(2) Ediert in: Excerpta ex expositione Hugonis de Rutlingen, S. 133 f.

(3) Gemeint sind die dreißiger Jahre des 14. Jahrhunderts. Die Quelle steht in Zusammenhang mit den Zwangsmaßnahmen Ludwigs des Bayern zur Aufhebung des Interdikts im Jahre 1338; vgl. Kaufhold, Gladius (1994), S. 210-247. Nach Schön, Geschichte der Juden (1894), S. 37, habe der Reutlinger Bürgermeister Albrecht der Rote die Anordnung 1338 verkünden lassen. Einen Quellennachweis bleibt Schön allerdings schuldig. Die jüngere Forschung zur Geschichte Reutlingens und der Reutlinger Judengemeinde übernimmt diese Behauptung durchgängig.

(4) In der Edition der Böhmerschen Aufzeichnungen durch Huber steht, dass die Kleriker zwölf Jahre lang das päpstliche Gebot befolgten und deinde vellent publice cantare. Bereits dem aus der Wiener Handschrift schöpfenden Editor ist aufgefallen, dass an dieser Stelle ein non fehlt. Dr. Roland Deigendesch, Leiter des Stadtarchivs Reutlingen, dem ich Kopien der betreffenden Textpassagen der beiden Kommentar- und Glossensammlungen verdanke, hat in diesem Kontext bereits auf den Abschreibfehler des Autors der Wiener Handschrift hingewiesen. In der St. Petersburger Handschrift (St. Petersburg, Nationalbibliothek, Lit. O XIV, Nr. 3) ist korrekt nollent zu lesen; ebenso im Heidelberger Manuskript des 18. Jahrhunderts (Heidelberg, UniBib, Cod. Sal. IX, Nr. 37, fol. 50v).

(5) Die Verordnung zugunsten der Juden wurde zur Zeit der sogenannten Armlederpogrome erlassen; vgl. dazu Müller, [Art.] Armleder-Verfolgungen (2016).

Überlieferung:

St. Petersburg, Nationalbibliothek, Lat. O XIV, Nr. 3, fol. 19v, Orig. (2. Hälfte 14. Jh.); Digitalisat, lat., Perg.; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3264 (Abschr., spätes 14. Jh.), fol. 26r/v; Heidelberg, UniBib, Cod. Sal. IX, Nr. 37, fol. 50v (Abschr., 18. Jh.).

Kommentar:

Zu Hugo von Reutlingen und seinem Werk vgl. Bodemann, [Art.] Spechtshart (1995); Hugo Spechtshart von Reutlingen. Die Lehrwerke, S. 11-21, und Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters, [Art.] Chronica metrificata (mit weiterer Literatur); neuerdings auch Graf, Hugo. In modifizierter Form gibt der Tübinger Kirchenrechtler Johannes Nauclerus den Sachverhalt in seiner zu Beginn des 16. Jahrhunderts erschienenen Chronik wieder. Demnach habe der Graf von Württemberg im Auftrag des Kaisers in Reutlingen verkünden lassen, dass diejenigen, die das Interdikt weiter verfolgten, vertrieben werden sollten, Aber den Juden, die verhasst gewesen seien, habe man Lebensmittel und andere notwendige Sachen verkauft. So sei alles in Unordnung gebracht worden: Et quod iudeis, qui exosi fuerant quibusdam, sicut ceteris hominibus victualia et alia necessaria vendebantur. Ita permixta fuerunt omnia (Memorabilium omnis aetatis, fol. 251v). Zu Johannes Nauclerus und seinem Werk vgl. .

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 197, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/KN-c1-004k.html (Datum des Zugriffs)

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