Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 122

[zwischen 1322 und 1326 Mai 21]

Der Lindauer Franziskaner Johannes von Winterthur schreibt in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts: Aus vertrauenswürdiger Quelle hat er erfahren ( … sicut relacione fide dingna (!) aput me et alios personuit …), dass kurz vor dem zuvor geschilderten Ereignis (Item paulo ante iam recitata) (1) in Ehingen (in oppido Swevie dicto Ehingen aput Danubium fluvium) eine nur dem Namen nach rechtgläubige Frau (mulier katholica) den Leib des Herrn (corpus Christi) mitsamt dem Kästchen, in dem er sich befand, vom Altar entwendet und anschließend an einem unwürdigen Ort aufbewahrt hat, um ihn zu einem Zauber zu verwenden. Als der Pfarrer den Diebstahl der Hostien bemerkte, tat er dies den Bürgern kund, die daraufhin sogleich über die von ihnen der Tat verdächtigten Juden des Ortes herfielen und 18 von ihnen töteten. Die wahre Täterin wurde schließlich gefasst, weil einige Frauen gesehen haben wollen, wie sie mit dem gestohlenen Kästchen zu den Juden gegangen sei, um ihnen die Hostien zu verkaufen. (2) Daraufhin sei die Diebin verbrannt worden. Die unschuldigen Juden sind aber ausgelöscht worden (Et sic iudei, immunes et alieni a prefato reatu quamvis existerent, deleti sunt).

(1) Vitoduranus datiert den angeblichen Hostienfrevelvorwurf und die Verfolgung in Ehingen kurz vor den zuvor erzählten Ereignissen (Item paulo ante iam recitata). Er bezieht sich dabei wahrscheinlich auf den ausführlich geschilderten Hostienfrevelvorwurf in Konstanz, der wahrscheinlich auf den 21. Mai 1326 zu datieren ist; vgl. KN01, Nr. 133. Nicht ganz auszuschließen ist auch ein zeitlicher Zusammenhang zu dem eher beiläufig erwähnten vermeintlichen Ritualmordvorwurf von Engen im Jahre 1322, an den die Schilderung des Ehinger unmittelbar anschließt. In der Forschung besteht keine einheitliche Meinung darüber.

(2) Da die Juden unten als unschuldig bezeichnet werden, dürfte es nicht zu einem Handel gekommen sein.

Überlieferung:

Zürich, Zentralbib., Ms. C 114 d, S. 68 f., Orig. (Mitte 14. Jh.; Autograph des Verfassers), lat., Papier; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. Chronica Iohannis Vitodurani, S. XXXI-XXXVII.

Kommentar:

Zu Johannes von Winterthur und seiner Chronik vgl. ###CP1-c1-007s###. In der Darstellung der Ereignisse widerspricht sich Johannes, wenn er zum einen behauptet, die Diebin habe die Hostien behalten wollen, um mit ihnen einen Zauber zu bewirken, zum anderen aber gesagt wird, die Frau sei bei den Juden vorstellig geworden, um diesen den Leib Christi zu verkaufen. Dies wäre lediglich möglich, wenn die Frau zunächst versucht hätte, den Juden die Hostien zu verkaufen und sie erst, nachdem die Juden den Kauf abgelehnt hatten, die Hostien versteckte. Dass die Juden nicht auf das Angebot der Frau eingegangen seien, legt Vitoduranus nahe, indem er trotz seiner prinzipiell antijüdischen Haltung die Juden ausdrücklich als unschuldig bezeichnet.

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 122, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/CP1-c1-00dg.html (Datum des Zugriffs)

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