Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 133

[1326 Mai 21]

Der Lindauer Franziskaner Johannes von Winterthur schreibt in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts: Ein Christ, lediglich dem Namen nach, in Wirklichkeit jedoch ein schlimmer Ketzer, hat den Leib des Herrn aus der Konstanzer (civitas Constanciensis) Kirche St. Paulus gestohlen und dort an die Juden verkauft, damit sie diesen, wann immer sie wollten, verspotten konnten. Die Juden verarbeiteten den Leib Christi unter vielen Hostien (1) vermengt zu einem Teig und brieten diesen in einer Pfanne. Als die christliche Magd der Juden hinzukam, sprang der Teig aus der Pfanne und blieb an ihrem Arm hängen. Einer der Juden riss daraufhin den Teig vom Arm der Magd und warf ihn wieder in die Pfanne. Die Magd entfernte sich still, lief auf die Straße und verkündete lauthals, dass die Juden den Leib des Herrn marterten. Zur selben Zeit bemerkte der Pfarrer von St. Paulus den Diebstahl vieler gesegneter Hostien und machte diesen öffentlich. Daraufhin schlachteten die ob des Geschreis auf den Straßen zusammengekommenen, wutentbrannten Bürger die auf frischer Tat ertappten Juden wie Stiere mit Beilen ab. Zwölf von ihnen wurden aus der Stadt herausgeführt und verbrannt, sechs im Rhein ertränkt und neun auf andere Art und Weise getötet. Die übrigen Juden wurden durch die angeseheneren Bürger der Stadt (potenciores cives civitatis) geschützt. Dieselben Bürger konnten - quod est miserabile dictu - acht Tage nach den Ereignissen auf eine Ermahnung des Herzogs von Österreich (2) hin auch rechtgläubige Männer (viri katholici), die dem Treiben von einer erhöhten Position aus zugeschaut hatten, dafür gewinnen, von einer weiteren Verfolgung der Konstanzer Juden abzusehen. Die Herzöge vön Österreich sollen, wie es heißt (ut fertur), des Geldes wegen häufig als Schutzherren der Juden (patroni iudeorum) in Erscheinung getreten sein, weshalb ihr Ansehen in der Bevölkerung abgenommen habe.

(1) Quod dum sub multis hostiis inctum paste in frixorio confrixum esset … Hier dürften wohl ungeweihte Hostien gemeint sein, mit denen der Leib Christi vermischt wurde.

(2) Zu dieser Zeit waren Friedrich I. (1308-1330) und sein Bruder Leopold I. (1308-1326) Herzöge von Österreich.

Überlieferung:

Zürich, Zentralbib., Ms. C 114 d, S. 68, Orig. (Mitte 14. Jh.; Autograph des Verfassers), lat., Papier; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. Chronica Iohannis Vitodurani, S. XXXI-XXXVII.

Kommentar:

Zu Johannes von Winterthur und seiner Chronik vgl. ###CP1-c1-007s###. Vitoduranus gibt keine konkrete Datierung des Geschehens; er vermerkt lediglich, dass es sich kurz nach (post hec) der Auseinandersetzung zwischen den Herzögen von Österreich und dem Grafen von Fürstenberg, die im Jahre 1326 stattfand, ereignete. Wahrscheinlich handelt es sich um dieselbe Verfolgung, die im Martyrologium Nürnberg, S. 217, erwähnt ist und auf Mittwoch, den 18. Sivan 5086 (21. Mai 1326), datiert; vgl. NM01, Nr. 72. Zwar werden in dem Martyrolog weniger jüdische Opfer aufgeführt, doch wird auch hier interessanterweise zwischen denjenigen unterschieden, die verbrannt worden sind, und denjenigen, die auf andere Art und Weise zu Tode kamen. Rosenthal irrt, wenn er im Artikel Konstanz in GJ 2, 1, S. 448, Anm. 25, behauptet, das im Martyrolog angegebene Datum sei korrumpiert, da der 18. Sivan im Jahre 1326 nicht auf einen Mittwoch falle.

Als einziger Chronist berichtet Christoph Schulthaiss in seinen nach 1575 entstandenen Collectaneen (Bd. 1, fol. 6v) von einer Judenverfolgung in Konstanz zum Jahre 1312 aufgrund einer Hostienschändung: 1312 haben die Juden eine gesegnete Hostie gestochen und gehowen, daraus ist Blut geflossen und ist kein strich noch schlag durchgegangen, hat als frischen wunden zehen gleich gesehen, sind der ursach halb vil Juden getödt worden. Vgl. dazu auch Löwenstein, Geschichte Juden Bodensee (1879), S. 23; Rosenthal, Heimatgeschichte (1927), S. 16 f. Obwohl bereits Marmor, Topographie (1860), S. 107, Anm. 2, annahm, dass es sich bei der Datierung um eine Verwechslung handle und die Verfolgung vielmehr in das Jahr 1333 gehöre, blieb der Hinweis auf ein fehlerhaftes Datum in der Forschung weitgehend unbeachtet. Aber auch eine Verfolgung zum Jahr 1333 erscheint nicht plausibel. Frühester Textzeuge ist Stumpf, Eydgenossenschafft 2 (1548), fol. 59r: 1333. Etliche Juden zuͦ Costentz hattend zuuͦ spott der Christeit und zuͦ verachtung Christlicher Religion etwas muͦtwillens mit dem Sacrament begangen ,deß wegen der selbigen Juden 9 erschlagen, 6 ertrenckt und 12 verbrennt wurdend. Fast denselben Wortlaut hat auch Speth, Triarcus (1733), S. 215; inhaltlich ähnlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts Melchior Zündelin Von Ursprung der Statt Costantz und etlichen alten Sachen (Konstanz, StadtA, Best. A I 5, S. 364). Der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Guardian des Franziskanerkonvents fungierende Chronist Malachias Tschamser führt die Verfolgung auf Gewalttätigkeiten von Juden gegenüber Christen in der Kathedralstadt zurück, gegen die sich die Christen mit bekanntem Ergebnis zur Wehr gesetzt hätten (Tschamser, Annales, S. 332); zu Tschamser und seiner Barfüßerchronik vgl. Wiegand, [Art.] Tschamser (1894), S. 699. Ruppert (Chroniken der Stadt Konstanz), S. 42, unternahm den nicht überzeugenden Versuch, den Text dem von ihm konstruierten „Ur-Stetter“ zuzuweisen; vgl. dazu auch KN01, Nr. 43. Die auffällige Übereinstimmung der Zahl der ermordeten Juden sowie deren Todesarten lassen keinen Zweifel daran, dass die Nachricht von der angeblichen Ritualmordverfolgung von 1333 auf der Chronik Johannes' von Winterthur respektive auf dem von Johannes benutzten Überlieferungsstrang beruht. Das gilt auch für eine weitere chronikalische Quelle, deren starke Anklänge an Vitoduranus aufweisenden Inhalt Rosenthal, Heimatgeschichte (1927), S. 16 f., freilich ohne Angabe seiner Quelle widergibt. Demnach sind nicht zwei oder gar drei Judenpogrome aufgrund von Ritualmordbeschuldigungen in Konstanz (1312, 1326 und 1333) in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts anzunehmen, sondern „lediglich“ derjenige von 1326.

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 133, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/CP1-c1-00dd.html (Datum des Zugriffs)

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