Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Worms (1273-1347)

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Bm. Worms 1, Nr. 150

1312 Juli 25

Die Richter der Wormser Kurie (curie Wormaciensis) bekunden, dass sie vor dem unten genannten Notar und den dort erwähnten Zeugen die folgende besiegelte Urkunde, die ihnen unbeschädigt, nicht kanzelliert und keinen Verdacht erregend erschienen ist, gesehen, gelesen und in ihrer Gänze abschreiben gelassen haben:

Bischof Emmerich von Worms (Wormsze), der Dekan Jakob (Iacob) und das gesamte Domkapitel zu Worms bekunden, dass es eine Auseinandersetzung zwischen ihnen und dem Hochstift einerseits und dem Judenrat und der Judengemeinde zu Worms andererseits gegeben hat, bei der es um die Einsetzung von Bischöfen und Ratsleuten unter den Juden ging (daz ein zweiunge ist gewesen zwieschen uns unde unsers stiftes wegen von einre siten unde zwieschen dem rade der iuden unde der iutscheyt zuͦ Wormsze ander site ume bischoͤfe und radlude under den iuden zuͦ setzen). Diesbezüglich hatte sich Bischof Emmerich das Recht vorbehalten, dass er und seine Nachfolger immer Bischöfe und Ratsleute der Juden ernennen sollen. Die Juden wollten sich dem aber widersetzen (Dez han wir mit reht behalten, daz wir, der bischof, unde unser nachkomen uͦmerme sollen setzen iuden bischoͤfe unde ratlude under den iuden, dar wieder wolten sich die iuden setzen). Der Rat der Stadt Worms und die Sechzehn haben daraufhin den Bischof und die Juden aufgefordert, sich in dieser Sache auf ein Schiedsgremium zu einigen, das aus den fünf ehrbaren Männern Jakob (Iacob), dem Kantor des Domstifts, Gerhard (Gerhart), dem Kämmerer [desselben], Johann (Iohan), dem Kämmerer von Worms und Ritter, Heilmann Holdmund (Heylman Holtmunden) und Heinrich zur Ecken, Bürger von Worms, bestehen sollte. An deren Entscheid sollten sowohl Emmerich als auch die Juden dann als ewiger Satzung festhalten. Die fünf Genannten erklären, auf Bitten des Bischofs, des Dekans, des Domkapitels und der Juden von Worms über diese Sache beraten und einmütig folgende Regelung getroffen zu haben, die beiden Seiten auf ewig garantiert sein soll (die man ietweder site ewiclich unde unzubroͤchenlich stede halten sal): [1.] Die Ratleute der Juden sollen mit dem Judenbischof zusammen stets zwölf Personen sein und nicht mehr (daz der iuden rat lude mit dem iuden bischofe alle wege zwelif sollen sin unde niht me). Diese Zwölf sollen unter den Juden gemäß dem alten Herkommen nach jüdischem Recht (nach iutschem reht) richten. Der amtierende Wormser Bischof soll einen der Zwölf zum Judenbischof ernennen, der zeit seines Lebens Judenbischof heißen soll (under den zwelif iuden sal unser herre, der bischof von Wormsze, wer danne bischof ist, eynen benennen zuͦ eyme iuden bischofe, der sal sin lebtage iuden bischof heiszen). Das Amt des Judenbischofs soll gemäß der bisherigen Gewohnheit weiterhin in jedem Monat ein anderer der Zwölf ausüben, auf dass den Juden besser Recht gesprochen werden mag (doch sol dez iuden bischofes ampt under in zwelifen ume gen ie zu dem mande, alz ir gewonheid biz her gewesen ist, ume daz, daz sie die baz gerihten mogen). Wenn der vom Wormser Bischof ernannte Judenbischof stirbt und der Bischof unter den zwölf Ratsleuten der Juden einen neuen zum Judenbischof ernennt, muss dieser dem Bischof 20 Pfund Wormser Pfennige bezahlen. Er wird dann seinen Lebtag lang Judenbischof heißen und es sein, wie es vorgeschrieben ist (unde der iude, den er under den zwelif ratluden under den iuden zuͦ eyme iuden bischof benennet hat, sal aber sin lebtag iuden bischof heiszen unde sin, als vorgeschrieben ist). [2.] Wenn einer der zwölf Juden, die im Judenrat sitzen, ausscheidet, sollen die übrigen einen unbescholtenen Ersatzmann aus den Reihen der Juden wählen (kooptieren), aber weder einen Kriehei[m] noch einen Drifzan noch einen Walich (1), und ihn inerhalb eines Vierteljahres nach dem Abgang jenes Ratsmannes dem Wormser Bischof benennen, der ihn dann einsetzen und sofort (zuͦ hant) bestätigen soll, worauf dieser dem Bischöf den gewöhnlichen Eid leistet, den ein jüdischer Ratsmann schwören soll (den gewoͤnlichen eit, den ein iuden ratman swern sal). Er muss auch eidlich garantieren, sämtliche hier festgelegten Artikel unverbrüchlich und ab sofort einzuhalten. Bei Einsetzung dieses neuen Ratsmannes ist der Judenrat verpflichtet, dem Wormser Bischof unverzüglich 60 Pfund Heller zu bezahlen. [3.] Die Wahl des neuen Ratsmannes soll auf Mehrheitsbeschluss hin erfolgen, es sei denn, die Judenratsleute wollen es gerne anders handhaben (Wir sprechen auch, daz die iuden ratlude ume diz benennen, alz vorgeschriben ist, der meisten menge under in volgen sollen unde anders ume kein sache me, sie wollens danne gern tuͦn). [4.] Haben die Ratsleute nach Ablauf eines Vierteljahrs immer noch nicht vorschriftsmäßig für den Ersatz eines ausgeschiedenen Kollegen gesorgt, kann der Wormser Bischof einen unbescholtenen neuen Judenratsherrn einsetzen, der kein Kireheim [!], Drifzan (2) oder Walich ist, ohne Widerrede der Juden. Dieser Ratsmann soll sodann mit allen Rechten im Judenrat sitzen, wie sie seine Kollegen haben, so als wenn er von diesen gewählt worden wäre. Auch für ihn schuldet der Judenrat dem Bischof die vorgeschriebenen 60 Pfund Heller. Sollte jener oder sollten andere Judenratsmitglieder wegen ihrer Einsetzung mit einer Klage konfrontiert werden, soll der Judenrat auf seine Kosten jenen bzw. diejenigen rechtlich verteidigen. [5.] Ist ein neuer Judenratsmann oder Judenbischof zu bestellen (werez daz dehein iuden rat ampt oder iuden bistom ledig worde), wenn gerade kein Bischof in Worms amtiert, sollen die Ratsleute einen von der Mehrzahl von ihnen gewählten unbescholtenen neuen Ratsmann entweder dem Domkapitel benennen oder dem, den dieses zum Bistumsverweser eingesetzt hat. Letzterer oder das Kapitel sollen den Gewählten dann in sein Ratsamt einsetzen und ihnen bestätigen, wie der Bischof von Worms es tun würde. Entsprechend zahlen die Ratsleute dem Kapitel oder dem Administrator die festgelegten 60 Pfund Heller für den künftigen Bischof von Worms, doch so, dass sie bzw. der neue Ratsmann vor der Geldübergabe vom Kapitel respektive von dem Verweser eine Garantie bekommen, dass der künftige Bischof von Worms in dieser Sache keine Forderung mehr an sie stellen wird. [6.] Gesetzt den Fall, dass ein Judenratsmitglied oder mehrere Worms verlassen und ein, zwei oder drei Jahre anderswo wohnen sollten, behalten sie dennoch ihr Amt, wenn sie vor Ablauf der drei Jahre wieder nach Worms ziehen und dort ansässig werden (wer ez, daz der (3) zwelif ratlude under den iuden einre oder me von der stat furen zuͦ Wormsze unde anderswo wonten ein iar oder zwei iar oder druͦ iar, dar ume sal doch ir rat ampt niht ledig sin, obe sie in den drin iarn her wieder zuͦ Wormsze ziehen unde sedelhaft werden). Bleiben sie indes länger als drei Jahre außerhalb von Worms wohnen, verlieren sie ihr Amt so, als wären sie gestorben. [7.] Sollten in Zukunft Satzungen gemacht werden, die gegen diese Ordnung verstoßen, so haben sie als ungültig zu gelten. [8.] Die fünf Schiedsleute erklären, dass ihre Ordnung sowohl vom Bischof von Worms und seinen Nachfolgern als auch vom Domkapitel und den Juden auf ewig unverbrüchlich einzuhalten sei; sollten Bischof, Kapitel oder Juden gegen irgendeinen der Artikel verstoßen, müssen die Wormser Bürger bzw. die Stadt Worms nach Kräften gegen diejenigen, die sich dieses Rechtsbruchs schuldig gemacht haben, vorgehen und denen ebenso energisch helfen, die die vereinbarte Ordnung einhalten wollen. Stadt und Bürger würden in diesem Fall gegen keinen geleisteten Eid verstoßen (unde sal daz der stat unde den burgern an deheime irme eyde niht schaden). Bischof Emmerich, das Domkapitel und die Stadt Worms sollen ihre Siegel an vorliegende Urkunde zu denen der fünf Schiedsleute hängen, und auch die Mitglieder des Judenrats sollen gemeinsam die Urkunde unterzeichnen (behesemen) (4) und mit ihrer Unterschrift besiegeln, dass sie alle Artikel der Urkunde auf immer einhalten werden.

Siegelankündigung Bischof Emmerichs von Worms. Domdekan Jakob und das Domkapitel kündigen das Kapitelssiegel an. Auf Bitten von Bischof, Kapitel und Judenschaft siegeln auch der Rat und die Bürgerschaft von Worms mit dem Wormser Stadtsiegel. Abschließend kündigen die fünf Schiedsleute ihr Siegel an.

[…] geben an sante Iacobis tage, da man zalt von Cristis geburte druzehen hundert iar und dar nach in dem zweliften iar. Dar nach warn geschriben vir linen in aberhemschem. (5)

Zum Zeugnis der Autopsie, ihrer Lektüre und der Transkription dieser Urkunde von 1312 kündigen die Wormser Richter ihr Siegel [an dem Vidimus] an.

Anno domini MᵒCCCᵒLX tercio, sabbato proximo ante Nativitatem Cristi.

Zeugen: Konrad (Conrad[us] Rode, Vikar von St. Laurentius, Jakob (Iacob), Vikar ebendort, Hermann, Vikar von St. Walpurgis, und Berthold (Bertold[us]) von Seburg, ebenfalls Vikar der Wormser Kirche.

Am linken unteren Rand befindet sich ein Notariatssignet; daneben bezeugt der öffentliche kaiserliche Notar und Notar der Wormser Kurie, Konrad Riese von Sinsheim, Kleriker des Bistums Speyer (Conradus dictus Riese de Sunshei[m], clericus Spirensis diocesis), die Ansicht, Lektüre und Anfertigung der Urkunde mit eigener Hand auf Geheiß der Wormser Richter. (6)

Rückvermerk:

Vidimus des vertrags mit den Juden durch Bischoffen Emerich vffgericht (15. Jh.?)

(1) Die Bedeutung von 'Krieheim' konnte noch nicht geklärt werden, während mit den 'Drifzan' und 'Walich' wahrscheinlich Angehörige der Familien Treves (Trevisanus) und Walch gemeint waren; vgl. Reuter, Warmaisa (2005), S. 58.

(2) Das r in Drifzan wurde über der Zeile eingefügt.

(3) Das vorstehende Wort wurde über der Zeile eingefügt.

(4) Das Verb behesemen ist ein Lehnwort aus dem Jiddischen und bedeutet '(be)siegeln' beziehungsweise 'unterschreiben'; vgl. Lehnertz, Katavti al ha-Tsetel (2014), S. 4.

(5) In der Ausfertigung der Urkunde von 1312 folgten also vier Linien in 'abrahamischer', d. h. hebräischer Schrift. Das UB der Stadt Worms 2, Nr. 74, gibt S. 47 diesen Schlussatz irrig wie folgt wieder: dar nach warn geschriben wir Kinen in Aberheinschein.

(6) Arnold, Verfassungsgeschichte 2 (1854), S. 217, Anm. 1, hat für den Druck dieser Urkunde auf Schannat, Historia 2 (1734), Nr. 188, S. 161-164, verwiesen und hinzugefügt: 'Original wohlerhalten in Darmstadt.' Mit 'Original' meinte er entweder eine Ausfertigung von 1312 oder vorliegendes Vidimus von 1363 Dezember 23. Wolf edierte die Urkunde aus einer beglaubigten Abschrift des Wormser Domkapitels vom 26. April 1591, in deren Einleitung der Dekan und das Kapitel bekunden, dass die Wormser Juden angesichts der Tatsache, dass der Vertrag zwischen ihnen und Bischof Emmerich noch immer bindend sei, den amtierenden Wormser Bischof im Jahr 1588 gebeten hätten, ihnen den Inhalt des Dokuments unter seinem Siegel mitzuteilen, 'damit sie […] wissen möchten, was in Demselben Vertrag begriffen', woraufhin sie eine entsprechende Urkunde erlangt und diese nun dem Dekan und Kapitel vorgelegt hätten. Die Judengemeinde habe das Domkapitel 'gantz bittlich ersucht', ihnen ebenfalls eine Kopie des Vertragsinhalts auszufertigen und mit dem Kapitelssiegel zu besiegeln. Weil der Vertrag von 1312 auch mit Beteiligung und Einverständnis des Domkapitels zustande gekommen sei, habe letzteres den Juden ihre Bitte nicht abschlagen wollen und die erwünschte Urkunde ausgestellt. Deren Inhalt gab Gerson Wolf, ebenso wie den etlicher anderer Dokumente, die die Wormser Judengemeinde betreffen, nach Archivalien aus dem 'Archiv des k. k. Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten' wieder. Sie sind vermutlich ebenso verschollen bzw. verloren wie die erwähnte Abschrift der Urkunde von 1312, die den Wormser Juden im Jahr 1588 vom damaligen Bischof von Worms besiegelt wurde.

Überlieferung:

Darmstadt, StA, Best. A 2, Nr. 255/674, Abschr. (Vidimus von 1363 Dezember 23) (B), dt. und lat., Perg.; ebd., Best. C 1 A, Nr. 156, fol. 92r-94r (Abschr., 15. Jh.) (C); München, BHStA, Rheinpfalz, U 302 (Abschr.) (D); Darmstadt, StA, Best. E 5 B, Nr. 1/2 (auszugsweise Abschr., 18. Jh.).

(Gerd Mentgen) / Letzte Bearbeitung: 17.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, WO01, Nr. 150, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WO01/CP1-c1-00ul.html (Datum des Zugriffs)

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