Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)

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Norddeutschland 1, Nr. 265

1347 Januar 7, Hildesheim

41 namentlich benannte Mitglieder der drei Räte der Hildesheimer Altstadt bekennen, dass sie sich als Sühne für die Zerstörung der Dammstadt (1) verpflichtet haben, in den nächsten vier Jahren, den vom Hildesheimer Bischof und dem Domkapitel verpfändeten Münz-, Zoll-, Vogtei-, Fron- und Judenzins für 250 Mark Hildesheimer Währung von den Pfandinhabern einzulösen (dat we van der stad weghende to Hildensem den sculdemeren, den verpendet was in des biscopes unde in des capiteles breve van Hildensem montiyge, tolnyge, voghediyge, vronentins unde de joden to Hildensem, dat we van soͤne weghene bi unsen eden ledighen moͤsten, sculdich sin driddehalf hundert lodighe mark Hildensemer witte unde wichte, de we on van der stad weghene betalen scullen binnen den neysten ver iaren, de nu anstat). (2) Die dazu nötige Lösesumme soll innerhalb von vier Jahren in vier Raten zu 70, 65, 60 und 55 Mark durch die Verpfändung von verschiedenen Ratszinsen und -einkünften - worunter an letzter Stelle auch der Ratszins von den Juden (unde des rades tins van den joden to Hildensem) (3) genannt wird - beschafft werden. (4) Die Aussteller kündigen das Stadtsiegel an.

na goddes bord dusent unde drehundert jar in deme sevene unde verteghesten jare des lateren daghes to twelften.

(1) Gemeint ist die aus dem Überfall auf die in unmittelbare Nähe zur Bischofsstadt befindliche Dammstadt resultierende Zerstörung der Neusiedlung und die Tötung ihrer Bewohner in der Weihnachtsnacht 1332. Veranlasst worden war diese aus einer Verbindung zwischen den Bürgern der Altstadt und dem päpstlichen Elekten für den Hildesheimer Bischofsstuhl Erich von Schaumburg. Letzterer konnte sich jedoch gegen den vom Domkapitel bestimmten Bischof Heinrich III. (von Braunschweig-Lüneburg) nicht durchsetzen und musste sich 1346 endgültig aus dem Streit um den Bischofsstuhl zurückziehen; vgl. Kruppa/Wilke, Bischöfe (2006), S. 385-458.

(2) Bischof Heinrich muss alle diese Einnahmequellen, also auch seine Einkünfte von den Juden, zuvor verpfändet haben. Wann das geschehen ist und an wen der Judenzins verpfändet worden war, ist in der Urkunde nicht weiter ausgeführt. Die Urkunde spricht nur allgemein von sc[h]uldemere. Vermutlich werden es einzelne Hildesheimer Bürger gewesen sein (so Aufgebauer, Geschichte (1984), S. 12). Eine Verpfändung der Münze an einzelne Ratsherren und Hildesheimer Bürger ist für das Frühjahr 1343 angesetzt worden; vgl. Schwarz, Pfennigstreit (1978), S. 38 f., sowie Kruppa/Wilke, Bischöfe (2006), S. 408, 437-441. Auf jeden Fall ist zu vermuten, dass sämtliche Verpfändungen ihre Ursache im anhaltenden Kampf Heinrichs um den Hildesheimer Bischofsstuhl hatten, weil dadurch Kapital zur Fortführung des Konfliktes gewonnen werden konnte. Vgl. allgemein zur Verpfändungspolitik des Bischofs Kruppa/Wilke, Bischöfe (2006), S. 405 und 427. Völlig unbestimmt ist auch, wann und wie das Judenregal überhaupt in die Zuständigkeit des Bischofs geraten ist.

(3) Der Hintergrund dieses Ratszinses von den Juden bleibt unklar - Schutz, Besteuerung und Gerichtsbarkeit lagen ja wie aus der Urkunde selbst hervorgeht - beim Bischof. Rexhausen, Lage (1914), S. 31 sieht mit Blick auf spätere Belege und mit dem Bearbeiter des Urkundenbuches der Stadt Hildesheim in dieser schoßähnlichen Abgabe einen Erbzins für Häuser, Buden und andere Gebäude, die der Rat als Eigentümer den Juden zur Nutzung überließ (so auch Aufgebauer, Geschichte (1984), S. 12). Die Hildesheimer Juden hätten demnach zwei feste Abgaben zu leisten gehabt, eine an den Bischof und eine weitere an den Rat der Altstadt. Die Höhe der Abgaben für die Mitte des 14. Jahrhunderts ist nicht weiter bekannt.

(4) Über diesen Beleg von 1347 hinaus verzeichnen GJ 2, 1, S. 360 und Asaria, Juden Niedersachsen (1979), S. 331, eine Bestimmung aus dem Jahr 1349, in dem der Bischof den Juden des Stifts zusichert, dass bei Gerichtsverfahren das Zeugnis von je zwei Christen und Juden im Beweisverfahren gegen sie erforderlich sei. Ein Quellenbeleg wird nicht gegeben. Eine derartige Anordnung ist allerdings nur aus dem Schutzprivileg des Bischofs Magnus von Hildesheim vom 26. August 1439 bekannt (UB der Stadt Hildesheim 4, Nr. 344, S. 255 f.; vgl. GJ 3, 1, S. 557 f.), so dass zu vermuten ist, dass die Bestimmung durch einen Zahlendreher unter einem falschen Jahr verzeichnet und in GJ 2 berücksichtigt worden ist.

Überlieferung:

Hildesheim, StadtA, Best. 1, Nr. 773, Orig., dt., Perg.

Kommentar:

In Anbetracht der Tatsache, dass ein päpstliches Schreiben vom 1. Juli 1312 (Roma, ASV, Reg. Vat. 59, fol. 126r; Magdeburg, Edition: Apostolic See 1, Nr. 289, S. 295 f.), in dem Papst Clemens V. den Erzbischof von Bremen sowie die Bischöfe Hildesheim und Brandenburg bittet, dem Erzbistum Magdeburg bei der Wiederbeschaffung von entfremdeten Gütern behilflich zu sein, welche u. a. auch an Juden verschiedener Diözesen (necnon aliquibus Judeis diocesium diversarum) veräußert worden sind, nicht unbedingt auf in der Stadt Hildesheim wohnende Juden zu beziehen ist, dass die Notiz zum vicus iudeorum (NO01, Nr. 103) als weitaus späterer Zusatz ernst zu nehmen ist und die Erwähnung von Juden in einem Schreiben des Rates von Lemgo an den Rat von Hildesheim (NO01, Nr. 132) nur ungenau (in die Jahre 1330-60) zu datieren ist, ist dies der erste sicher datierte und der früheste zuverlässige Beleg für die Hildesheimer Judengemeinde - abgesehen vom Hinweis auf einen einzelnen Hildesheimer Juden, nämlich auf Jacob de Hildensem in einem Braunschweiger Zinsregister von 1320 (NO01, Nr. 91), sofern man den Namenszusatz als Herkunftsangabe gelten lässt. Angaben zu einer früheren Verortung von Juden in Hildesheim (bis in das 11. Jh. zurück) lassen sich jedenfalls nicht verifizieren und dürfen als spekulativ gelten. Vgl. Aufgebauer, Geschichte (1984), S. 8-11. Von der Bedeutung der Hildesheimer Gemeinde in späterer Zeit gibt aber auf jeden Fall die Anlage eines Friedhofes Anfang 1351 (###NO-c1-0022###) Zeugnis.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 22.01.2021

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 265, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-0025.html (Datum des Zugriffs)

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