Quellen zur Geschichte der Juden im Erzbistum Mainz (1348-1390)

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Ebm. Mainz 2, Nr. 124

1367 März 8, Ehrenfels

Gerlach (Gerlacus), Erzbischof von Mainz (sancte Maguntine sedis) und Erzkanzler für die deutschen Lande (per Germaniam), bekundet, dass er die gemeinhin als Vidimus bezeichnete Abschrift einer Urkunde Papst Urbans V., versiegelt mit einer Bleibulle am Seidenfaden nach Art der Avignoneser Kurie, voll gültig und unverdächtig, angesehen, gelesen und übertragen lassen habe, deren wörtlicher Inhalt inseriert folgt:

Im Jahr 1365 nach Christus, am Mittwoch, dem 6. August, zur Stunde der Terz, als Urban V. Papst war und Herr der Stadt Avignon (civitatis Avinionensis), im dritten Jahr seines Pontifikats. Alle, die vorliegende öffentliche Urkunde (seriem praesentis publici instrumenti) sehen und hören, sollen wissen, dass im weltlichen Kuriengebäude der Stadt Avignon vor dem edlen Herrn Crugo von Châteauvillain (?) (Crugo de Filhano) (1), einem Rechtsexperten besagter Kurie, der im Gericht seinen Herrn, den Papst, für gewöhnlich als Richter vertritt, Salvius Bellanti de Stella, Jude von Avignon (de Avinione), und der Jude Crescas Damini, Einwohner von Carpentras (civitatis Carpentoracensis habitator), erschienen sind. Sie legten im eigenen Namen und in dem aller anderen Juden und Jüdinnen, die ihnen in dieser Angelegenheit ergeben sein wollten, dem Richter eine unbeschädigte und keinerlei Verdacht erregende apostolische Pergamenturkunde vor, die nach Art der römischen Kurie mit einer anscheinend echten Bleibulle an gelbroten Seidenfäden besiegelt war. Die beiden erklärten, dass es den Juden nütze und für sie alle notwendig sei, die in der Urkunde enthaltenen Gnaden mitzuteilen und ihren Inhalt zu schützen und zu bewahren und das apostolische Schriftstück aus noch vielen anderen Gründen an verschiedene Orte zu senden oder zu bringen, um seinen Inhalt zu verkünden, nicht zuletzt deswegen, weil die Übertreter der darin enthaltenen apostolischen Gebote zu wenig im Zaum gehalten würden, wenn sie nicht vorher die in der Urkunde genannten Strafen für ihre Taten kennen würden. Damit niemand sich auf seine Unkenntnis berufen und damit entschuldigen könne, wollten die Juden die Urkunde veröffentlichen lassen und eventuell an verschiedenen Gerichtsstätten vorlegen lassen. Gleichermaßen fürchteten sie, wie sie sagten, dass durch Einfälle von Räubern, Überflutungen, Brände, Mäusefraß oder Würmer oder andere Zufälle besagte Urkunde verloren gehen, Schaden nehmen oder vernichtet werden könne und die Juden dadurch Verluste erlitten oder ihnen ein großer Rechtsnachteil entstehe. Um dem zuvorzukommen, baten die Juden den Richter, von ihrer Originalurkunde eine Abschrift oder mehrere und weitere Kopien, die gemeinhin Vidimus genannt würden (transcriptum et transcripta seu transumptum et transumpta, que communiter vidimus nuncupantur), anzufertigen, die vor Gericht und außerhalb von Gerichten an jedem Ort so wie die Ausfertigung des apostolischen Schreibens herangezogen werden könnten. Wenn Meister Rostagno Boneti, öffentlicher Notar der Kurie, oder der öffentliche Notar Petrus Fabri sie ausstellten und mit ihrem Signet versähen, könnten sie für Schadloshaltung der Juden in der Zukunft und die Bewahrung der ihnen gewährten Gnaden sorgen. Der Richter war diesem Vorschlag gegenüber aufmerksam und wohlwollend, bestätigte, dass die Originalurkunde aufgrund der oben beschriebenen Zufälle oder aus einem anderen Grund plötzlich vernichtet sein könne, gab der Supplik der Juden von Rechts wegen und aus Gründen der Vernunft statt, besah die Originalurkunde, hielt sie in seinen Händen und prüfte die Schrift, um sie sodann durch den Notar Petrus Faber mit lauter und verständlicher Stimme vorlesen und auch zugänglich werden (publicari) zu lassen. Den Notaren gebot der Richter, gemeinsam Abschriften bzw. authentische Transsumpte der Papsturkunde anzufertigen und niederzuschreiben (praecepit ut unum et plura transcriptum et transcripta sive transumptum et transumpta auctenticum et auctentica feceremus et scriberemus) und in die Form öffentlicher Instrumente zu bringen, die sie, falls die Juden sie haben wollten, ihnen übergeben und überlassen sollten gegen Zahlung der gerechten Gebühr für die Mühe der beteiligten Notare. Es folgt das Insert der Papsturkunde im Wortlaut:

[Papst] Urban [V.] erklärt darin nach seinem Eingangsgruß und -segen, so wie den Juden in ihren Gemeinden (synagogis) nichts außer dem ihnen im Gesetz Vorgeschriebenen erlaubt sei, so müssten sie darin aber auch keine Rechtsminderung erdulden. Wenngleich sie lieber in ihrer Verstocktheit verharrten als die verborgenen Worte der Propheten und ihrer Schriften zu erkennen und den christlichen Glauben und die Heilsbotschaft zu begreifen, andererseits jedoch die Milde des christlichen Erbarmens erbäten, gibt Urban in Erinnerung an seine Vorgänger Calixt (2), Eugen, Alexander, Cölestin, Innozenz, Gregor, Nikolaus, Honorius, Nicolaus IV. und Clemens VI. und in deren Spuren der Petition der Juden statt und beschließt: [1.] Kein Christ darf Juden gegen ihren Willen mit Gewalt zur Taufe zwingen. Flüchtet ein Jude jedoch aus eigenem Antrieb um des Glaubens Willen zu Christen, nachdem sein diesbezüglicher Wunsch offenbar geworden ist, soll er, ohne Verleumdungen ausgesetzt zu sein, Christ werden. [2.] Kein Christ soll es wagen, Juden ohne Urteilsspruch des Herrn der Region, der Stadt oder des Landes, je nachdem, wo die Juden wohnen, zu verletzen, zu töten oder ihres Geldes zu berauben, noch sie mit Stöcken oder Steinen misshandeln oder sie zu erzwungenen Diensten nötigen, die sie in der Vergangenheit für gewöhnlich nicht leisten mussten. [3.] Um der Schlechtigkeit und Habgier böser Menschen entgegenzutreten, verfügt der Papst, dass niemand sich erkühnen soll, einen Judenfriedhof zu 'verstümmeln' oder zu verkleinern (mutilare vel minuere) oder für Geld Leichen auszugraben. [4.] Wer in Kenntnis dieses Dekrets dagegen zu verstoßen versucht, soll Gefahr laufen, Ehre und Amt zu verlieren oder mit der Exkommunikation bestraft werden, falls er keine angemesse Wiedergutmachung leistet. [5.] Den Schutz dieses Gunsterweises sollen nur diejenigen Juden erhalten, die nichts Böses gegen den christlichen Glauben im Schilde führen. Datum Avinione, nonis iunii, pontificatus nostri anno tercio. (3)

Nachdem der obengenannte Richter die Übereinstimmung der von den Notaren angefertigten Abschrift bzw. des Vidimus der Papsturkunde mit dem Original geprüft hatte, trug er auf, dem Dokument Rechtskraft und Wirksamkeit an jedwedem Ort zu verliehen, auf dass es vor Gericht wie die originale apostolische Urkunde verwendet werde. Sodann dekretierte der Richter offiziell, dass gemäß dem Ersuchen der Juden Salvius und Crescas Damini und ihrer Glaubensgenossen ihnen ein Notariatsinstrument oder mehrere, die durch die genannten Notare oder einen beliebigen von ihnen angefertigt wurden, zugestanden seien.

Acta et data fuerunt hec [anno a Nativitate eiusdem (Christi) millesimo trecentesimo sexagesimo quinto et die Mercurii, que fuit sexta mensis augusti, hora tertiarum, sanctissimo in Christo patre et domino nostro, domino Urbano divina providencia papa quinto, civitatis Avinionensis domino existente et pontificatus eiusdem anno tercio.] (4)

Auf die Nennung der anwesenden Zeugen folgt die Erklärung von Petrus Fabri, Bürgers von Avignon, für alle besagten Vorgänge der verantwortliche Notar gewesen zu sein. Mit seiner und des Richters Erlaubnis ließ Petrus vorliegendes Instrument durch seinen geschworenen Substituten anfertigen und nach Kollationierung und Korrektur auf Bitten des Juden Salvius Bellanti mit seiner eigenhändigen Unteschrift und seinem gewohnten Signet versehen, zudem har er es mit der Bulle der genannten Kurie in herkömmlicher Form bestätigt.

Ankündigung des Siegels von Erzbischof Gerlach.

Datum Erinfels, VIIIᵛᵃ die mensis marcii, anno domini millesimo trecentesimo sexagesimo septimo. (5)

(1) Die Identifizierung von Filhan[um] mit Villanum [castrum] = Châteauvillain im frz. Département Haute-Marne ist nicht sicher.

(2) Zu den auf Papst Calixt II. (1119-1124) zurückgehenden und von zahlreichen weiteren Päpsten bestätigten Judenschutzbullen mit den Eingangsworten 'Sicut Judeis' siehe Simonsohn, Apostolic See (1991), S. 44 f. und 52-56. Zur Sicut-Judeis-Bulle Papst Urbans V. vgl. die in Apostolic See 1, Nr. 404, S. 430, angegebene Literatur, und die Edition in Monumenta Vaticana 3, Nr. 540, S. 320 f.

(3) 1365 Juni 5.

(4) 1365 August 6.

(5) Ohne den auf Erzbischof Gerlachs Vidimierung bezüglichen Anfang sowie die Siegelankündigung und die Datumszeile am Schluss ist vorliegendes Dokument im Kopialbuch 3 bereits auf den Seiten 269v-271r abgeschrieben worden.

Überlieferung:

Frankfurt, ISG, Kopialbuch 3 (sog. Pfaffenbuch), fol. 275r-277r, Abschr. eines zweifachen Vidimus (15. Jh.), lat., Papier.

  • REM 2, 1, Nr. 2225, S. 505 f.

(gem.) / Letzte Bearbeitung: 24.08.2018

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2016, MZ02, Nr. 124, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/MZ02/MZ-c1-007n.html (Datum des Zugriffs)

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