Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 220

[zwischen 1342 Mai 7 und 1345 Januar 7]

Papst Clemens [VI.] schreibt an den Abt des Zisterzienserklosters Salem (1), dass Bürgermeister Johannes Krutzin (Cruczin), Schultheiß Johann von Lustnau (Lustnowe) sowie Seibot (Syxlocus) (2) Krutzin, Markward Lutram, Eberhard Bürgermeister (4) und andere Schöffen und Räte der Stadt Esslingen (Esselingen) in der Diözese Konstanz (Constanciensis diocesis) ihm mitgeteilt hätten, dass der Esslinger Laie Johann Anwin (Jo[hannes] dictus Anewin de oppido predicto) einst gegen David von Waiblingen und dessen Söhne Isenbrun und Eberlin, Juden der Diözese Konstanz, vor dem Kantor [des Augustinerchorherrenstifts St. Leodegar in] Schönenwerd wegen angeblichen Wuchers geklagt und ein diesbezügliches päpstliches Mandat erwirkt habe. Falls sich die Klage als berechtigt herausstellen sollte, sollte der Kantor die Juden unter Androhung ihres Ausschlusses aus der Gemeinschaft der Gläubigen zwingen, das erpresste Geld zurückzugeben und von weiterem Wucher abzulassen (… contra Davidum de Waiblingen, Isenbrum [!] et Eberlinum, ipsius Davidis filios, iudeos dicte diocesis, qui multa extorserant et adhuc extorquere nitebantur, ab eo per usurariam pravitatem, apostolicas ad .. cantorem ecclesie Werdensis prefate diocesis sub ea forma literas impetrarat [!], ut supradictus cantor, si esset ita, dictos iudeos, ut sua sorte contenti sic extorta restituant et ab usurarum exactione desisterent, per subtractionem communionis fidelium appellatione remota compelleret). Auf Grundlage des päpstlichen Schreibens sorgte Johann Anwin für die Vorladung besagter Juden vor den Kantor. Als die Juden Johann Anwin bei der Verfolgung seines Rechts und die Rechtsprechung des Kantors dadurch behinderten, dass sie Johann gefangennehmen ließen und persönlich dafür sorgten, dass er im Gefängnissen festgehalten werde (Cumque prefati iudei dictum Jo[hannem], ut ipsum in prosecutionem sui iuris et iurisdictionem dicti cantoris impedirent, capi fecissent et procurassent personaliter et in carceribus detineri), wurde dies in jener Gegend so bekannt, dass es durch keine Ausflüchte mehr verheimlicht werden konnte (quod nulla poterat tergiversacione celari). So ließ der Kantor eine offizielle Aufforderung an die Juden ergehen, innerhalb einer bestimmten Frist für die Freilassung von Johann Anwin und die Wiedergutmachung des von diesem erlittenen Unrechts und die Verachtung seiner Person zu sorgen. Da sich die Juden um diesen Termin trotzig nicht weiter kümmerten und keinen vernünftigen Grund angaben, warum sie der Aufforderung nicht nachkommen müssten, wurden sie, wie es heißt, durch den Kantor von der Gemeinschaft der Gläubigen exkommuniziert (Et quia prefati iudei infra dictum terminum et post ea efficere contumaciter non curarunt, nullam causam rationabilem allegantes, quare id facere non deberent, memoratus cantor eisdem iudeis communionem fidlium dicitur subtraxisse). Obwohl der Bürgermeister, der Schultheiß, die Richter, die Schöffen, die Ratsmitglieder und die Gemeinde von Esslingen keinerlei Kontakt mit den besagten Juden hatten und die Juden selbst aufgeschlossen waren, für eine schnelle Aufhebung jener Exkommunikation zu sorgen, suggerierte Johann Anwin dem Kantor lügnerisch, dass die Esslinger trotz der gegen sie unter Androhung der Exkommunikation von ihnen allen und des Interdikts ergangenen Mahnung und Urteile durch den Kantor weiter leichtfertig mit den Juden Gemeinschaft zu haben wagten. Auf diese falschen Einflüsterungen hin und ohne jede Prüfung derselben, ohne dass irgendetwas erwiesen war - was auch gar nicht sein konnte, da alles unbekannt und falsch war -, ließ der Kantor die Vertreter der Stadt Esslingen und die ganze Gemeinde schriftlich auffordern, innerhalb einer unwiderruflich festgesetzten Frist vor ihm zu erscheinen und einen Grund zu nennen, warum sie nicht exkommuniziert und öffentlich mit dem Interdikt belegt werden müssten. Der Kantor wollte sonst Bürgermeister, Schultheiß, Richter, Schöffen, Ratsherren, Bürger und Gemeinde von Esslingen aufgrund der ergangenen Urteile für exkommuniziert erklären und das Interdikt über sie verkünden lassen. Seitens der Esslinger wurde ihm innerhalb der festgesetzten Frist entgegnet, da er nicht den geringsten Wahrheitsgehalt der Behauptungen Johann Anwins festgestellt habe - was auch nicht hätte sein können, da nichts dergleichen bekannt und alles falsch sei - und sie den Mandaten und Mahnschreiben des Kantors voll und ganz gehorcht hätten und weiter gehorchten, seien sie bereit, sich rechtlich zu verantworten. Der Kantor war von Rechts wegen nicht in der Lage, noch weiter mit einem Mahnbrief, einem Mandat und einer Erklärung dieser Art fortzufahren. Deswegen trugen die Esslinger an den Kantor die Forderung heran, seine Mahnung, sein aufgrund der erwähnten Erdichtungen ergangenes Mandat und seine Erklärung zu widerrufen. Da der Kantor dies ungerechterweise ablehnte, wurde seitens der Vertreter der Stadt und der Gesamtheit derer, die meinten, hier unverdient bedrückt zu werden, an den Apostolischen Stuhl appelliert. Der Papst gebietet deshalb dem Abt zu Salem, Zeugen aufzurufen und nach deren Vernehmung zu beschließen, was gerecht ist, und ohne, dass eine Appellationsmöglichkeit besteht, eine Entscheidung zu fällen und dafür zu sorgen, dass an dieser durch kirchliche Zwangsmittel festgehalten wird. Die Zeugen aber, die aufgeboten wurden, sollen, wenn sie sich durch Dankesschuld, Hass oder Furcht der Aussage entzogen haben sollten, in der selben Weise gezwungen werden, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.

(1) Ulrich III. (von Werdenberg-Sargans); vgl. Siwek, Zisterzienserabtei (1984), S. 180-183.

(2) Bei Syxlocus handelt es sich um eine Verschreibung.

(4) Im Text steht Brit (so auch in Neue Beiträge zum päpstlichen Urkundenwesen im Mittelalter [Abhandlungen], Nr. 42, S. 415 f., und in Neue Beiträge zum päpstlichen Urkundenwesen im Mittelalter, Nr. 42, S. 83 f.). UB Esslingen 1, Nr. 711, S. 357-359, ergänzt Burgermaister, da eine Person mit dem Namen Brit als Richter vor Ort nicht nachweisbar sei.

Überlieferung:

München, BStB, Clm. 17788, fol. 101r/v, Abschr. (1377), lat., Papier.

Kommentar:

Die Datierung ergibt sich aus den Ausführungen in UB Esslingen 1, Nr. 711, S. 357 Anm. 1. Demnach ist ein Johann von Lustnau vor 1342 VI 18 bis 1345 I 1 und erneut 1350 XI 23 bis 1354 VI 10 als Schultheiß von Esslingen nachweisbar. Hieraus lässt sich als Aussteller Clemens VI. identifizieren (1342 V 7-1352 XII 6). Johann Krutzin war 1341-1342, 1344-1345 und 1348-1351 Bürgermeister von Esslingen. Die Richter Eberhard Burgermeister und Markward Lutram können in der gesamten Regierungszeit Clemens' VI. nachgewiesen werden. Seibot Krutzin wird zum letzten Mal 1343 VII 4 erwähnt und fehlt in einer Aufzählung von 1345 I 7. Wie UB Esslingen 1, Nr. 711, S. 357, Anm. 1, richtig aufzeigt, könnte Seibot Krutzins Ausscheiden aus dem Amt dem Aussteller noch nicht bekannt gewesen sein.

(Michael Schlachter) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 220, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/KN-c1-0042.html (Datum des Zugriffs)

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