Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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250 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 175.

Bm. Konstanz 1, Nr. 175

1332 Oktober 26, Konstanz

Der Überlinger Jude Meir Ensli (Mayer Änseli, der jude von Úberlingen) (1), sowie die Brüder Merold und Mose, Söhne des Juden Josef von Überlingen (Merolt unde Moysse Tannebach, die juden, gebruͦder, Josepes súne von Úberlingen) (2) bekunden, dass sie für sich und im Namen aller Juden sowie deren Erben und Nachkommen (fúr úns und fúr alle juden und fúr alle únser erben und nachkomen) dem Überlinger Bürger Eberhard Frickenweiler und seinen Erben einen Weingarten zu Überlingen verkauft haben, der in der Stadt Überlingen am Blutschenberg liegt, dort wo die Stadtmauer eine Biegung macht und an das Haus Eberhards angrenzt (Eberhart dem Frikkenwiller, burger ze Úberlingen, unde sinen erben, habint zekoffent geben, reht unde redelich den wingarten,der ze Úberlingen in der stat an dem Blútschenberg gelegen ist, da dú mure umbe gat, und der ainhalb stôsset an dez selben Eberhartez dez Frikkenwillers hus). Diesen Weinberg hatten die Aussteller beziehungsweise die Überlinger Juden (3) einst vom Kaiser gekauft (den wir koͧften von .. dem Roͤmschen chaiser) (4). Zusätzlich haben die Juden Eberhard einen Jahreszins von fünf Schillingen und einem halber Fuder Wein verkauft, die auf dem Weingarten und dem Haus Jecklins des Klöcklers liegen und zu dem zuvor genannten Weingarten am Blutschenberg gehören (darzuͦ haben wir im ze koffent geben ain halb fuͦder wins, jaͤrgclichs gelts, und fúnf schilling phenninge, och jaͤrgclichs geltz, dú ab Jaͤclins dez Kloͤkelers wingarten und ab sinem hus gant, und in denselben wingarten hoͤrent, den wir im zekôffent geben hant). Ein weiterer Jahreszins von einem halben Fuder Wein ist zudem im Besitz des Leprosoriums (da wider gat och us dem selben wingarten ame Blutzschenberg och ain halb fuͦder wins den siechen an dem velde). Darüber hinaus liegen noch andere Zinsen auf dem Weinberg, die jedoch nicht näher präzisiert werden (und ander zins).

Der Weinberg wurde mit allen daraufliegenden Rechten, wie sie die Juden und ihre Vorfahren besessen hatten, für 220 Pfund Pfennige Konstanzer Währung verkauft, welche die Juden bereits ausgezahlt bekommen hatten (unde habin in und sinen erben den selben wingarten ze koffent geben, mit allen den nútzen und gewonhaiten und mit allen den rehten, als in únserre vordern an úns braht hant, und also och wir denselben wingarten besessen und genossen habint, her untz uf disen húttigen tage, und haben im den geben umbe zwai hundert phunde und zwainzek phunde phenninge Costenzer múns, und sigin och der gar und gaͤnntzlich von ime gewert und sint in únsern redelichen nutz komen und bekert). Die formale Übergabe erfolgte auf offener Landstraße (an offener lantstraße) mit Wissen und unter Vermittlung (Und habin daz getân mit willen und gunst und mit hantgetât) des Ritters Schwenger von Lichtenstein (5), Konrad Ruhes (6) und Jakobs von Roggwil (7). Der Herr von Lichtenstein wird als Unterhändler im Namen des Kaisers und Graf Friedrichs von Zollern (8) genannt, Konrad Ruhe als Unterhändler im Auftrag des Kaisers und des Grafen von Marstetten und Graisbach und Jakob von Roggwil als Unterhändler des Kaisers und der Stadt Ravensburg (9) (dez erberen ritters hern Swaͤnigers von Lichtenstain, der únser pfleger ist an des .. chaisers stat und an graven Frideriches stat von Zolre, mit Cuͦnratez dez Ruhen, der únser pfleger ist an dez chaisers und an .. des von Niffen (10) stat, und mit Jacobes von Rogwille, der únser pfleger ist an des chaisers und an Ravenspurger stat (11)). Die obengenannten Juden verzichten mit dem Verkauf für sich und alle Juden auf ihre Rechte an den obigen Gütern (unde verzihin úns dar úber fúr úns und fúr alle Juden und fúr alle unser erben und nachkomen gen dem vorbenenten Eberhat dem Frikkenwiller und sinen erben und gen allen sinen nachkomen allez dez rehtes und aller der aigenschaft so wir an dem egenanten wingarten hatten ald von dekainen dingen iemmer gewinnen moͤhtin) und jegliche Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung des Verkaufs sowohl vor geistlichem als auch weltlichem Gericht (Wir verzihin úns och aller ansprache, aller vorderunge, alls schirms, alls fúrzugs, aller hilf, gaischelichs unde weltlichs gerichts, und aller brieve, die wir ald kain jude, ald kain únser erbe und nachkomen gewinnen, ald erwerben moͤhtin, vome stuͦl ze Rome (12), ald vom riche, ald anderswannan, da mit wir iemmer den vorgedahten wingarten kúndin ald moͤhtin angesprechen, ald da mit wir iemer dis vorgenanten koͤfs moͤhtin ald kúndin widerkomen). Bei Klagen von Juden wegen des obigen Weingartens versprechen die Aussteller dem Verkäufer ihre Unterstützung, während sie bei Klagen von Christen nicht zur Hilfe verpflichtet sind (waͤre daz in dekain jude aͤnspraͤche, da soͤlin wir in verstan und im den wingarten fertegen von allen juden, wa er sin notdúrftig ist, waͤre aber daz den wingarten kain cristan man anspraͤche, so sigin wir nit gebunden, daz wir in da verstan soͤlin, ald kainen sinen erben ..).

Zur Bekräftigung der Urkunde besiegeln die genannten Juden und ihre Unterhändler die Vereinbarung. (13)

[…] do man von Cristes gebúrt zalte drúzehenhundert iar, dar nach in dem zwai und drissigosten iar, an dem nehsten maͤntage vor aller hailigen tage.

Rückvermerk:

Kauffbrieff; diß ist ain Koffbrief um aine wingarten und zins zu Uͤberlingen (14. Jh.); mehrere neuzeitliche Rück- und Archivvermerke

(1) Zu Meir Ensli vgl. Mentgen, Studien (1995), S. 135, 467, Anm. 17, und S. 469. Sarit Shalev-Eyni identifiziert ihn mit dem um 1322 erwähnten Auftraggeber für einen Siddur und einen Sefer Mizvot Qatan, der sich in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befindet; vgl. Shalev-Eyni, Handschriften (2000), S. 35 f. und 38, Anm. 42; Shalev-Eyni, Kunst (2011), S. 19 f. und 64 f.; Shalev-Eyni, Jews (2010), S. 15 f., 148 f. und 190; Monumenta Judaica 1 (1963), Nr. D 50; siehe hierzu auch KN01, Nr. 88. Am 26. Oktober 1334 ist er zudem als Jude zu Straßburg nachweisbar (KN01, Nr. 166).

(2) Der Ort Tannenbach kann nicht zufriedenstellend identifiziert werden und könnte sich auch von einem städtischen Haus als Sitz der Familie ableiten. Der Eintrag Tannebach bei Krieger, Wörterbuch 2 (1905), Sp. 1141, verweist lediglich auf Tennenbach, ehemals Sitz einer bedeutsamen Zisterzienserabtei, allerdings ohne größere Siedlung vor Ort. Am größten Wahrscheinlichkeit beansprucht das elsässische Tambach beziehungsweise Dannbach, heute Dambach-la-ville, welches in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stark an Bedeutung gewann; vgl. Escher/Hirschmann, Urbane Zentren 1 (2005), S. 135. Von hier stammte auch der Dominikaner und Theologe Johannes von Dambach (13./14. Jh.), bei dem es sich um den in einer Straßburger Handschrift des 15. Jahrhunderts als 'von Tannebach' bezeichneten Mystiker handeln dürfte (Straßburg, BNU, Ms. Nr. 2795, fol. 188r); vgl. Schmidt, Johannes (1841), S. 20, Anm. 3.

(3) Die betreffende Stelle bietet Spielraum für Interpretationen, da die Aussteller zuvor angegeben haben, auch im Namen aller Juden zu handeln.

(4) Hier bleibt unklar, ob der Kauf in der Regierungszeit Ludwigs des Bayern erfolgte, oder ob er in der Regierungszeit eines seiner Vorgänger erfolgt war.

(5) Schwenger von Lichtenstein wird in einer weiteren Urkunde mit (pauschaler) Erwähnung von (Esslinger) Juden genannt, als er im Jahr 1337 mehrere Gülten zu Stuttgart verkauft; siehe EL01, Nr. 175.

(6) Konrad Ruhe war ein Mitglied eines Konstanzer Ministerialen- und Bürgergeschlechts. Er ist als Reichsvogt beziehungsweise Untervogt zu Konstanz bezeugt; vgl. Möncke, Bischofsstadt (1971), S. 183; Kindler von Knobloch, Geschlechterbuch 2, S. 211.

(7) Jakob von Roggwil war ein Mitglied einer Konstanzer Ratsfamilie und Lehensträger des Augustinerchorherrenstifts zu Konstanz; vgl. Maurer, Konstanz 1 (1989), S. 185-187; Kindler von Knobloch, Geschlechterbuch 3, S. 603-606. 1328 stand er in Geschäftsbeziehungen mit dem zu Konstanz ansässigen Juden Eberlin; vgl. KN01, Nr. 142.

(8) Der Graf von Zollern befand sich vermutlich im Pfandbesitz der Überlinger Juden und konnte daher eine Beteiligung geltend machen. Vgl. KN01, Nr. 166. Zu diesem Schluss kamen bereits Stillfried/Märcker, Forschungen 1 (1847), S. 173, Anm. 26.

(9) Aus dem Text geht nicht hervor, warum die genannten Auftraggeber und ihre Unterhändler an den Verhandlungen beteiligt wurden und ob respektive woher sie ein entsprechendes Recht ableiteten. In Anbetracht der beteiligten Personen ist zudem auffällig, dass der Landvogt in Oberschwaben, Graf Albrecht von Werdenberg-Heiligenberg, fehlt. Im Jahr 1349 erhielten hingegen die Grafen von Helfenstein als damalige oberschwäbische Landvögte nach der erneuten Verfolgung der Juden durch die Stadt Überlingen das zurückgelassene Judengut von König Karl IV. überlassen (vgl. Überlingen, StadtA, Best. A 1 Nr. 62 und 63).

(10) Hierunter ist Berthold, Herr von Neuffen, Graf von Graisbach und Marstetten, Hauptmann Kaiser Ludwigs IV. in Oberbayern, zu verstehen; vgl. Roth von Schreckenstein, Geschichte (1872), S. 262.

(11) Dies könnte neben der Stadt Ravensburg auch eine Institution oder Personen vor Ort meinen, die Rechte an den Überlinger Juden oder dem dortigen Weinberg hatten.

(12) Die betreffende Formulierung ist hervorzuheben, insbesondere, da zuvor bereits Klagen vor geistlichen Gerichten ausgeklammert wurden. Hiermit ist somit die Möglichkeit der Anfechtung durch den Papst selbst, als Gegner Kaiser Ludwigs, zu verstehen.

(13) Zu den Siegeln siehe JS01, Nr. 28, ###KN-c1-02p9### und ###KN-c1-02su###.

Überlieferung:

Karlsruhe, GLA, Best. 3, Nr. 3016, Orig., dt., Perg.

Kommentar:

Die vorliegende Urkunde ist vor dem Hintergrund der Verfolgung der Überlinger Juden im März 1332 zu verstehen. Zu dieser Verfolgung vgl. auch die Chronik des Lindauer Franziskaners Johannes von Winterthur (KN01, Nr. 172) und einen hebräischen Martyrologeintrag (KN01, Nr. 171).

(Michael Schlachter) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 175, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/KN-c1-002y.html (Datum des Zugriffs)

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