Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 231

1344 Juni 24

Der Lindauer Franziskaner Johannes von Winterthur schrieb in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts: In Lindau (in oppido Lindaugensi) verstießen im Jahre 1344 zahlreiche Menschen beiderlei Geschlechts öffentlich gegen die Gebote Gottes und der Kirche, indem sie schändlicher als die Juden Wucher trieben (… turpius quam Iudei usuram exercuerunt). Sie verliehen fünf Schillinge zu einem wöchentlichen Zins von 2,5 Pfennigen. (1) Gegenüber den Klagen der derart bedrückten Bevölkerung gegen ihr unchristliches Verhalten zeigten sich die christlichen Geldhändler unnachgiebig und wälzten, was noch schwerwiegender ist, den Frevel auf die ortsansässigen Franziskaner (fratres Minores ibi residentes) ab. Sie behaupteten, die Brüder legten bei der Beichte kein Augenmerk auf den Wucher; vielmehr zeigten diese, dass diesem geringes Gewicht beizumessen sei. Das war jedoch falsch, weil die Franziskaner öffentlich gegen den Wucher predigten. Darüber hinaus geht die Unrichtigkeit obiger Aussage auch daraus hervor, dass sie von Wucherfrauen (mulieres usurarie) stammte, die gar nicht bei den Brüdern zur Beichte gingen. Um ihre Schlechtigkeit zu überdecken, behaupteten diese Frauen, dass ihnen ihr Tun zum Verdienst gereiche, da sie trostlosen Menschen wieder Hoffnung geben würden. Die christlichen Geldleiher ließen sich allerdings nicht von ihrem Wucher abbringen. Schließlich kam am Feste Johannes des Täufers (ad festivitatem sancti Johannis Baptiste) (2) ein reicher auswärtiger Jude mit weiteren Juden (quidam iudeus locuples alienigena cum aliis iudeis) nach Lindau und bat die Bürger um Aufnahme als Mitbürger (concives). Im Gegenzug versprach er den Lindauer Bürgern, ihnen, solange er dort seinen Wohnsitz habe, deutlich günstigere Kredite zu gewähren. Für ein Pfund wollte er pro Woche zwei Pfennige Zins nehmen. (3) Allerdings forderte der Jude auch, dass dort kein christlicher Wucherer mehr zugelassen sein dürfe. Dieses Angebot nahmen die Bürger ob des schweren christlichen Wuchers freudig an. Am Fest Peter und Paul (in festo apostolorum Petri et Pauli) (4) wurde den in Lindau wohnenden Christen unter Androhung einer hohen Strafe - die Johannes übergeht (… quam pertranseo …) - verboten, in der Stadt wucherische Verträge abzuschließen oder einen ungerechtfertigten Zins zu nehmen. So sahen schließlich die Wucherer wegen eines Beschlusses der Bürger (burgensium edictum et decretum) (5) und angelegentlich der unverhofften Ankunft eines Juden - ungerne (invitus) - von der wucherischen Verworfenheit ab anstatt dies aus Liebe zu Christus zu tun.

(1) Das entspricht einem jährlichen Zinssatz von 216,66% (ungeachtet einer möglichen Abrechnung innerhalb eines kürzeren Zeitraums, durch die dann auch noch Zinseszins fällig wurde; vgl. Cluse, Zinseszins [ms.]).

(2) 1344 Juni 24.

(3) Das entspricht einem Zinsatz von 43,33% (ungeachtet eines möglichen Zinseszinses) und damit genau dem Zinssatz, der von den Kawertschen anlässlich ihrer Aufnahme in Lindau am 18. November 1282 verlangt werden durfte; vgl. KN01, Nr. 18.

(4) 1344 Juni 29.

(5) Die Formulierung lässt darauf schließen, dass dieses Verbot vermutlich schriftlich festgehalten wurde. Ein entsprechendes Dokument ist jedoch nicht überliefert.

Überlieferung:

Zürich, Zentralbib., Ms. C 114 d, S. 151, Orig. (Mitte 14. Jh.; Autograph des Verfassers), lat., Papier; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. Chronica Iohannis Vitodurani, S. XXXI-XXXVII.

Kommentar:

Zu Johannes von Winterthur und seiner Chronik vgl. ###CP1-c1-007s###. Burmeister, Spuren (1994), S. 18, und Ders., Medinat 1 (1994), S. 90, geht davon aus, dass es sich bei den christlichen Wucherern um Lombarden handelt. Explizit wird dies in der Quelle jedoch nicht erwähnt. Die von Johannes von Winterthur vorgebrachte Argumentation taucht auch in anderen Zusammenhängen auf: So setzte sich der trevisanische Podestà Johannes Zorzi im Jahre 1398 anlässlich der Überlegungen des venezianischen Dogen, die Verträge mit den Trevisaner Juden nicht zu verlängern und diese auszuweisen, in einem Schreiben für deren Verbleib in der Stadt ein, da sie sich verdient gemacht hätten, indem sie verarmte Adlige und Arme durch den Kauf von Vieh und Häusern unterstützten und Häuser vor dem Verfall retteten. Zudem gäben sie Kredite zu günstigeren Konditionen als christliche Geldleiher; vgl. Möschter, Juden Treviso (2008), S. 148 und 361-363; Haverkamp, Juden in Deutschland und Italien (2012), S. 130.

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 231, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/CP1-c1-00ca.html (Datum des Zugriffs)

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