Quellen zur Geschichte der Juden im Elsass (1273-1347)

Zurück zur Übersicht

337 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 214.

Elsass 1, Nr. 204

1338 [Januar - März]

Johannes von Winterthur schreibt im Rahmen seiner Ausführungen über die 'Armleder'-Verfolgungen im Elsass: Ebenso wie zuvor in Franken erhob sich im Elsass eine Volksmenge unter Führung eines ebenfalls rex Armleder genannten Bauern und Schankwirts (rusticus caupo), um das Martyrium Christi durch die Ermordung sämtlicher Juden zu rächen. Dieser scharte eine große Volksmenge um sich. Die Kreuzesfahne und ein Bild Christi vorantragend zog Armleder mit seiner Schar von Stadt zu Stadt und bat um Einlass mit der Behauptung, durch göttliche Inspiration und ein himmlisches Orakel den Auftrag erhalten zu haben, gemeinsam mit seinen Helfern die Juden, die Feinde Christi, in tota terra zu vernichten. Dabei versäumte er nicht darauf hinzuweisen, dass diejenigen, die sich seinem Ansinnen widersetzten, den rechtmäßigen Glauben und die Gebote Gottes missachteten. Daraufhin wurde er mit seinen Leuten bereitwillig in die Städte und weiteren befestigten Siedlungen (quecumque civitas, castrum vel oppidum) eingelassen. Dort beteilgte sich die jeweilige Stadtbevölkerung an der Ermordung der ortsansässigen Juden durch Armleder und seine Anhänger. Um ihren Kindern die Zwangstaufe zu ersparen, brachten viele Juden diese und anschließend sich selbst um. Bei den diversen Aktionen wurde Armleder - wohl so genannt, weil er ein Leder statt eines Eisens am Arm trug - in comitatu suo von jeweils 500 bis 2.000 törichten und ungebildeten Anhängern (homines simplices, rudes et insipientes) unterstützt, die er je nach Bedarf innerhalb kürzester Zeit aus allen Winkeln des Elsass zusammenrufen und ebenso schnell wieder in ihre Wohnorte entlassen konnte. Diese Männer führten ihre Verpflegung mit sich und waren jeweils mit ihren berufsspezifischen, als Waffen dienenden Werkzeugen ausgestattet. In Rufach (1), Ensisheim (Eisishein) und in weiteren Städten und Orten des Elsass sollen so über 1.500 Juden getötet worden sein (ut fertur). Damit wurde deren Unflätigkeit und Frevelhaftigkeit aus der Mitte der dort wohnenden Gläubigen getilgt (… et spurciciam eorum et maleficia de medio ibidem fidelium habitancium exstirpavit.). Ihre Leichen wurden außerhalb der Siedlungen in Gewässern versenkt oder aber aufgeschichtet und verbrannt. Zahlreiche elsässische Juden flohen aus Angst vor den Judenschlägern in die kaiserliche Stadt Colmar (civitas Alsatie Culmar imperialis), wo sie sich dem Schutz der Bürger unterstellten. Als der König (rex) dies hörte, zog er vor die Stadt und forderte die Auslieferung der Juden. Die Colmarer weigerten sich jedoch, die Juden auszuliefern, und wurden daraufhin von einem großen Heer viele Tage lang belagert, so dass die Ernte und die Weinlese stark beeinträchtigt wurden. (2) Die Folge war eine große Empörung innerhalb der Stadt. Das gemeine Volk (vulgares), das die Juden ausliefern wollte, konnte sich allerdings nicht gegen die Mächtigen (potenciores), von denen einige verwundet worden sein sollen (a quibusdam dicebatur), durchsetzen. Nach einigen Tagen wandte sich Armleder von Colmar ab und zog sich zuerst in ein nahe gelegenes Dorf zurück, wo ihn Angehörige der Stadtgemeinde (populares de civitate) häufig aufsuchten, ehe er in partes Gallie (3) auswich. Als Ludwig der Bayer in der Fastenzeit einige Tage Aufenthalt in Colmar nahm (4) und dort den Juden und ihren Beschützern beistand (… Iudeis et suis patronis astaret, …), wurde er von seiner Gemahlin Margarethe, Tochter des Grafen von Holland, als Judenfreund bloßgestellt, woraufhin er sich zu bessern versprach. Nach der Abreise des Kaisers nahm Armleder erneut die Belagerung der Stadt auf. Dabei zerstörte er die vor der Stadt gelegenen Anbau- und Weideflächen und plünderte die außerhalb Colmars gelegenen Güter der Bürger (cives). In Schwaben (Swevia) hatten zahlreiche Juden aus Furcht vor einem Übergreifen der Unruhen ihre Wohnorte verlassen und sich gegen die Zahlung von Geld oder einen Schuldenerlass unter den Schutz mächtiger Adliger begeben. Als jedoch die zweite Belagerung von Colmar erfolglos verlief, ließ der Schankwirt von der weiteren Realisierung seiner judenfeindlichen Pläne ab und verschwand von der Bildfläche. (5)

(1) Die Verfolgung in Rufach fand am 25. Januar 1338 statt; vgl. auch NM01, Nr. 75.

(2) Die Belagerung von Colmar muss zwischen Ende Januar und Anfang März 1338 stattgefunden haben, so dass weder die Weinlese noch die Ernte behindert worden sein kann.

(3) Mit partes Gallie könnten sowohl romanischsprachige Gebiete als auch der linksrheinische Teil des Reiches gemeint sein.

(4) Der Aufenthalt Ludwigs des Bayern fällt in die erste Hälfte des März 1338; vgl. Mentgen, Studien (1995), S. 357.

(5) Am 28. August 1339 schwor Ritter Rudolf von Andlau als Gerichtsherr des mutmaßlichen rex Armleder Johann Zimberlin, dass sich dieser in den nächsten zehn Jahren ruhig verhalten werde; vgl. auch EL01, Nr. 246.

Überlieferung:

Zürich, Zentralbib., Ms. C 114 d, S. 87-90, Orig. (Mitte 14. Jh.; Autograph des Verfassers), lat., Papier; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. Chronica Iohannis Vitodurani, S. XXXI-XXXVII.

  • Chronica Iohannis Vitodurani, S. 139-142 (dort auch auf S. XXXV-XXXVII zu älteren Editionen).
  • Grabmayer, Diesseits (1999), S. 281-283;
  • Mentgen, Studien (1995), S. 355-357;
  • Lotter, Hostienfrevelvorwurf (1988), S. 564 f.;
  • Arnold, Armledererhebung (1974), S. 38-40;
  • Hoyer, Armlederbewegung (1965), S. 79-84;
  • Ginsburger, Juden in Rufach (1906), S. 17-22.

Kommentar:

Zu Johannes Vitoduranus und seiner Chronik vgl. ###CP1-c1-007s###. Über die Armlederpogrome in Franken und weiteren Gebieten zeigt sich der Bettelmönch nur unzureichend bis gar nicht informiert. Über die folgenden Ereignisse im Elsass äußert er sich jedoch ausführlicher. In der Chronik Fritsche Closeners von 1362 wird der Schankwirt als Johann Zimberlin aus Andlau identifiziert; vgl. EL01, Nr. 214. Bei dem zweiten, von Johannes von Winterthur nicht genannten Anführer des Heeres soll es sich nach Fritsche Closener um einen Edelmann aus Dorlisheim gehandelt haben, der hies Unbehouwen. Ihm folgt Jakob Twinger von Königshofen; vgl. ebd. Die Älteste deutsche Chronik von Colmar nennt künig Emich und künig Zimberlin als Anführer der Belagerer von Colmar; vgl. EL01, Nr. 202. Der in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts verstorbene Matthias von Neuenburg erwähnt in seinen Notae historicae Argentinenses im Kontext der Belagerung von Colmar ebenfalls Emich und Zimberlin als Anführer; vgl. EL01, Nr. 203.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2014, EL01, Nr. 204, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/EL01/CP1-c1-007p.html (Datum des Zugriffs)

Lizenzhinweis

Die Datensätze stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und können unter Berücksichtigung der Lizenzbedingungen frei nachgenutzt werden. Sofern nicht anders angegeben, sind die verwendeten Bilder urheberrechtlich geschützt.

Zurück zur Übersicht